Grüner Borschtsch: Frühling in der Schüssel
Vergangenes Wochenende bin ich am Victor Adler Markt an einem beeindruckenden ungarischen Marktstand
vorbeigekommen, der über und über bedeckt war mit Bündeln von Petersil, Koriander, Knoblauchgras, Bärlauch und Sauerampfer, Säcken voll Rucola, Spinat und junge Gurken - ein grünes Fest für die Augen, der Frühling auf zwei Tische gestapelt. Ich habe zugeschlagen und die Entdeckung mit dem ersten Grünen Borschtsch des Jahres gefeiert.Dem grünen Borschtsch habe ich ich bereits hier ein Loblied gesungen. Sie ist ein wunderbares Übergangsgericht für die nicht mehr kalte, noch nicht warme Jahreszeit: eine spätwinterliche Rindssuppe, die mit jeder Menge frischem, gerade gesprossenem Grün aufgepeppt wird.
Es gibt unzählige verschiedene Varianten, ein stets wesentlicher Bestandteil aber ist der frische Sauerampfer. Er hat, wie der Name vermuten lässt, eine erfrischende, milde Säure, und bekommt, einmal gegart, eine angenehm schleimig-cremige Konsistenz, die zwar ungewöhnlich ist, aber ähnlich süchtig machen kann wie Nattō. Ich bin ihr vor ein paar Jahren in der Ukraine verfallen und freue mich seither jedes Jahr auf den Beginn der Saison.
Neben den üblichen Verdächtigen habe ich in meinen Grünen Borschtsch auch noch wilden Kerbel gestreut - der sprießt aktuell in allen Wäldern und an Wiesenrändern und schmeckt ganz famos. Und auch wenn ich immer sehr bemüht bin, nicht der Versuchung zu verfallen, Essen zu sehr als Medizin zu betrachten: Das Essen so vieler junger, gerade geschossener Triebe und Blätter fühlt sich einfach sehr, sehr gut an.
Wer es nicht auf den Victor Adler Markt oder in den Wald schafft: die Stände der Bioschanze am Wiener Nasch- und Kutschkermarkt haben auch regelmäßig Sauerampfer im Angebot. Gut möglich allerdings, dass er bei uns noch etwas länger zum Schießen braucht als in Ungarn.
Grüner Borschtsch für Zwei (mit oder ohne jungen Kerbel)
3, 4 festkochende Erdäpfel, geschält und gewürfelt
1 Karotte (oder anderes Wurzelgemüse), geschält und gewürfelt
Ein paar Frühlingszwiebel, gehackt
In etwa ein Liter kräftige Rindssuppe
Salz oder Sojasauce
2 Eier
Bratenreste (optional)
Zwei Hände voll frischer Sauerampfer
Reichlich Dill und wilder Kerbel, gehackt
Zwiebel, Kartoffel und Karottenwürfel kurz in etwas Öl anschwitzen, mit kräftiger Rindssuppe toppen, salzen (oder, noch besser, mit Sojasauce würzen) und das Gemüse bissfest garen, etwa zehn bis fünfzehn Minuten. Währenddessen pro Person ein Ei kernweich kochen.
Sauerampfer und etwaige Bratenreste (in meinem Fall war noch etwas geschmortes Kaninchen da) zur siedenden Suppe geben und einrühren, bis die Blätter gerade zusammengefallen sind. Kurz innehalten und sich an der Farbe erfreuen - sehr schnell wird aus dem Grünen Borschtsch nämlich ein eher braungrauer, was dem Wohlgeschmack allerdings keinen Abbruch tut.
Auf Schüsseln verteilen und mit reichlich gehacktem Dill, gehacktem wildem Kerbel und halbiertem weichen Ei toppen. Ich schneide dafür das Ei in der Schale der Länge nach durch und hole dann die Hälften mit dem Löffel heraus. Wer bessere Vorschläge hat, bitte posten!
Ungarn mit seinen endlosen Weiten und dem wärmeren Klima war schon im Mittelalter so etwas wie die Speisekammer Mitteleuropas und ist seit Jahrhunderten vor allem für die Versorgung Wiens besonders wichtig. Das ist bis heute noch ein bisschen so: Neben Donaufisch, Mangalitzaspeck, eingelegtem Gemüse und Paprika verdanken die Wiener ihren Nachbarn immer noch die superen Pilzstände am Brunnen- und Meislmarkt, und die Chinashops der Stadt kaufen ihr frisches Gemüse meistens von hier, von Spargelsalat bis Bittergurken.