Vor ein paar Wochen habe ich es endlich zum ersten Mal in die nördliche Metropole geschafft, der Stadt mit dem größten Fischmarkt des Landes, obwohl sie nicht am Meer liegt. Auch die besten Fänge unseres süditalienischen Fischerdorfs landen nicht beim lokalen Fischhändler, sondern in Mailänder Restaurants. Ich hab dann trotzdem mehr Fleisch als Fisch gegessen, und die Zeit hat nicht gereicht, um allzu viel zu probieren, aber dank lieben, gern essenden Mailänder Freuden und Trüffelpapst Luca Milifi ist sich doch ein bissl was ausgegangen. Danke!
Frangente
Seit dem Ernst in Berlin habe ich nicht mehr so gut gegessen wie im Frangente, und im Gegensatz zum Ernst habe ich vor dem Essen nie etwas von dem Lokal gehört. Federico Sisti und sein Team servieren hier etwas ganz Seltenes: modern(isiert)es italienisches Essen, das hervorragend schmeckt.
Wir hatten hier einen dieser magischen Abende, an denen jeder Gang so richtig super war. Gedämpfte Canocchie1 mit rohen jungen Artischockensalat war die erste Offenbarung: die Krebse haben einen fantastischen Krustentier-Geschmack, aber sind unendlich mühsam auszulösen und werden sofort breiig, wenn sie auch nur ein paar Sekunden übergart sind. Sisti aber schafft es, sie so fleischig und komplett geschält zu servieren, wie ich sie noch nie kosten durfte. Die rohen Disteln passen ganz wunderbar dazu.
Gegrillte Kalmare mit geschmorten Endivien und Sardellen waren ein fast napolitanisch anmutender Gruss aus dem kalten Meer, cremig, knusprig, würzig, bitter, und dank tagesfrischer Meerestiere ein großer Genuss.
Gegrilltes Bries mit Hummer klingt affig, ist aber eine wunderbare Kombination (die Süße des Hummers, das Herbe des Bries), auch weil beide so perfekt gegart waren - wann bekommt man so fantastisch pinkes Bries! Ein eindrucksvoller Beweis, dass Frittieren für die Innerei fast eine Verschwendung ist. Es war so gut, dass wir den Gang zwei Mal, einmal am Anfang, dann am Ende noch einmal bestellt haben.
Cappelletti, kleine hauchdünne Ravioli, eine Erinnerung an Sistis Heimat, die Emiglia, bloß, dass die noch viel samtiger, noch besser abgeschmeckt waren als alle, die ich in Bologna essen durfte. Sisti reibt außerdem vor dem Servieren statt Käse Bottarga drüber, was sowohl der cremigen Sauce als auch der schweinischen Füllung ganz außergewöhnlich gut steht.
Und dann das Milanese. Es wird hier nicht als Schnitzel, sondern als Backfleisch interpretiert, und zwar als kapitales: eine zwei Finger dicke, auf den sehr rosa Punkt gegarte und dann panierte Kalbsschnitte von einem Schmelz und einer geschmacklichen Wucht, wie es sonst eher nur ein Kalbskopf liefert. Keine Ahnung, welches Teil genau es war, aber es war fantastisch.
Sisti schafft es, klassisches italienisches Essen zart zu verändern, zu modernisieren, zu konzentrieren, und trotzdem nicht zu verhunzen - ein Hoffnungsschimmer für die nahe Zukunft, in der zahlreiche jetzt gerade noch rüstige Nonnas nicht mehr in der Küche stehen werden. Wir sind an der offenen Küchenbar gesessen, was das Vergnügen noch einmal erhöht. Meine Entdeckung des Jahres.
Eine kleine Erinnerung: unter allen neuen Jahresabos, die bis inklusive 15.12.2024 abgeschlossen werden, verlose ich drei meiner Bücher. Welches, das dürfen sich die GewinnerInnen selbst aussuchen.
Antica Trattoria della Pesa