Köstliches Knacken: Singapur Chili Crab
Vor ein paar Tagen war ich wieder einmal im chinesischen Fischladen auf der Wiener Kettenbrückengasse einkaufen und habe ein wenig mit der freundlichen Verkäuferin geplaudert. Nachdem ich bereits gezahlt hatte, hat sie dann mehr zufällig eine Kiste neben der Vitrine geöffnet. “Die habe ich auch noch”, hat sie gemeint, und prächtige, etwa ein Kilo schwere, lebende Krabbe heraus gehoben. Ich konnte nicht widerstehen und habe zugeschlagen.
Um die Krabbe zu feiern, habe ich beschlossen, mich an Singapur Chili Crab zu versuchen. Es ist schon einige Jahre her, dass ich in Shanghai das letzte Mal genießen durfte. Seither denke ich immer wieder sehnsüchtig daran zurück.
Die Krabbe wird dafür erst zerlegt und in einer scharf-würzigen Tomatensauce mit etwas Ei geschwenkt, die ihrem saftigen Fleisch ganz hervorragend steht und beim Kochen noch all das herrliche Aroma der Krustentierschalen und Eingeweide aufnimmt. Vielleicht das Beste am Essen ist es, sich diese Sauce immer wieder gierig von den Fingern zu lecken.
Krabben im Allgemeinen stehen ganz weit oben auf meiner persönlichen Best Of Meeresfrucht-Liste, knapp hinter großen roten Shrimps und klar vor ihrem berühmten Verwandten, dem Hummer. Zugegeben, satt essen kann man sich an ihnen kaum, aber was ihnen an Muskelfleisch fehlt, haben sie dafür an herrlich intensivem Geschmack und Aroma. Ihre Innereien, der sogenannte Krabbensenf,1 gehören zum Besten, was das Meer hervor gebracht hat, eine cremig-iodige Köstlichkeit, die mit ihrer Intensität und Komplexität einen Seeigel ganz schön alt (oder freundlicher; subtil) aussehen lässt. Und das bisschen Fleisch, dass dann doch vor allen in den Scheren und Schultern2 sitzt, ist wunderbar fein und verführerisch krustentier-süß.
Ich liebe sie in fast allen Varianten. In Süditalien schlemme ich so oft wie möglich Pasta con Granchio, am liebten mit den kleinen Tiefseekrabben, die in unserem Dorf dem Fischkutter beim Shrimpfang manchmal mit in die Netze gehen - an ihnen ist zwar fast nichts dran, aber sie geben der Tomatensauce ein unvergleichliches Aroma.
Die besten Krabbenköche (und Esser) aber sind ziemlich sicher die Chinesen und Japaner3, die zahllose Varianten kennen (sowohl an essbaren Krabben als auch an Zubereitungsarten). Singapur Chili Crab ist ein Klassiker, und in weiten Teilen Asien so beliebt, dass eigene Restaurantketten darauf spezialisiert sind. Die Läden sind meist von außen leicht erkennbar an den großen Wassertanks mit Krabben im Eingangsbereich. Gäste suchen sich hier, wenn sie wollen, die passende Krabbe aus, bevor sie an den Tisch geleitet und mit Plastik-Lätzen eingekleidet werden, wie Europäer sie eher nur aus Kindergärten oder Pflegeheimen kennen.
Das sieht vielleicht wenig schick aus und fühlt sich für den unerfahrenen Gast etwas seltsam an, ist aber durchaus sinnvoll - Wer Krabben genießen will, der muss das nämlich leidenschaftlich tun. Sie müssen wollüstig zuzeln, beherzt knacken, und mit Verve an Beinen, Zangen und Schalen saugen - mit Zurückhaltung und Meeresfrucht-Besteck werden sie keine Freude an der Krabbe haben.
Für Singapur Chili Crab wollen sie am besten das, was auf Englisch Mud Crab heißt, Dungeness Crabs sind ebenfalls gut geeignet. Rechnen Sie mit etwa einem Kilo Krabbe (eine große oder zwei kleine) für zwei Personen. Aus der Zucht kostet das ungefähr 25 bis 30 Euro.
In Wien hat das eingangs erwähnte chinesische Fischgeschäft in der Kettenbrückengasse regelmäßig gute Krabben im Angebot - vor allem jetzt, kurz vorm chinesischen Neujahr, sollten sie leicht zu bekommen sein. Auch andere Fischhändler, etwa das Goldfisch, bieten sie gelegentlich an, und können sie jedenfalls auf Bestellung besorgen. Die restlichen Zutaten sind in fast jedem Supermarkt zu haben.
Vor dem Rezept noch ein paar generelle Krabbentipps
Das Wichtigste bei der Krabbenzubereitung ist, sich nicht vor der Krabbe zu fürchten. Krabben werden nämlich so gut wie immer lebend verkauft, weil sie, einmal tot, sehr schnell an Qualität verlieren. (Aus Neugier habe ich in einem Asiashop einmal gefrorene Krabbenstücke aus Madagaskar erstanden und verkocht. Ich kann es nicht empfehlen.) Vor dem Kochen müssen Sie ihre Krabbe daher schlachten.
Chinesen, Italiener, Spanier und andere Menschen mit Meeresfrucht-Esskultur erledigen das fast wortwörtlich im Handumdrehen: Sie ziehen den Tieren mit einem kräftigen Ruck die Rückenpanzerschale ab und/oder hacken sie mit dem Beil in mehr oder weniger große Teile.
Auch tierfreundlichere Methoden - Betäubung durch Kälte und dann ein Stich ins zentrale Nervenzentrum der Tiere - sind kaum weniger aufwendig, wenn man sie ein paar mal gemacht hat. Ähnlich wie etwa das Zusammenbauen eines kleinen Ikea-Kasterls braucht es nur ein paar Handgriffe, die mit etwas Übung sehr, sehr schnell gehen. Bloß beschreiben lässt sich das ganze gar nicht gut. Ich habe es beim Schreiben dieser Kolumne versucht, aber es wird sehr schnell sehr lang und lässt es viel schwieriger klingen, als es ist. Die zahlreichen Videos, die es dazu im Internet gibt, sind deutlich lehrreicher: Dieses und dieses Video zeigen das recht schön. Hier gibts noch einen kleinen Text dazu.
Wem das alles zu blöd ist, der fragt am besten die Fischhändlerin seines Vertrauens, ob sie das erledigen kann und kocht die Krabben noch am selben Tag, am besten nur einige Stunden später.
Und wer lieber Essen geht: Grandmother Food serviert feine Wollhandkrabben, und das Red Bowl bietet auf Vorbestellung wahrlich famosen Hummer in drei Gängen an - im Newsletter bald mehr dazu.
Singapur Chili Crab
Die Version ist nicht ganz authentisch, aber ziemlich einfach und ziemlich köstlich. Reichen Sie reichlich Reis dazu und etwas Gemüse.
1 Krabbe, etwa ein Kilo schwer, fachgerecht geschlachtet
Öl
Nicht zu knapp Ingwer, Knoblauch und Frühlingszwiebelweiß, gehackt
Ein guter Esslöffel Shrimppaste
Frische Thai-Chili nach Geschmack
Mehl zum Stäuben
1/2 Dose Tomaten
um die 300ml Fisch- oder Hühnersuppe
1 Ei, verquirlt
Gehackes Frühlingszwiebelgrün und gehackter Koriander
Rückenpanzer abnehmen und mit dem Krabbensenf für später zur Seite legen. Bei großen Tieren dann die Kiemen entfernen, wie das im Video oben gezeigt wird - einfach mit den Fingern abzupfen. Schneiden sie den Körper dann in vier Teile: einmal längs durch, dann die beiden Stücke noch einmal quer, sodass sie zwei Stücke mit großen Klauen plus einem kleinen Bein und zwei Stücke mit drei kleinen Beinen haben. Knacken Sie die Scheren mit einem Mörser oder Schnitzelklopfer oder der Rückseite des Beils an, sodass die Sauce beim Kochen hinein laufen kann.
Das war’s, jetzt können Sie mit dem Kochen loslegen.
Ingwer, Frühlingszwiebel, Knoblauch und Shrimppaste in einer Küchenmaschiene zu einer Paste verarbeiten. Falls sie sich nicht gut pürieren lässt einen Schuss Fischsuppe und/oder Sojasauce zugeben.
In einer großen, schweren Pfanne etwas Öl erhitzen und die Paste darin anbraten. Mit etwas Mehl stauben und kurz mitbraten, dann mit Dosentomaten und Suppe aufgießen. Zum Köcheln bringen und die Krabbenteile hinein legen. Zugedeckt etwa sechs, sieben Minuten ziehen lassen.
Deckel entfernen und von der Hitze nehmen. Den Krabbensenf und das verquirlte Ei einrühren, mit Frühlingszwiebelgrün und Koriander bestreuen und mit Reis servieren. Hauptsächlich mit den Fingern genießen.
Auf deutsch heißt das wenig apetitlich Hepatopankreas, das Wort Krabbensenf ist nur meine persönliche Übersetzung des englischen “Crab Mustard”. Laut Wikipedia ist es eine Art Mischung aus Bauchspeicheldrüse und Leber.
Ich meine damit jenen Stellen, an denen die Krabbenbeine mit dem Körper verbunden sind, also das, was bei anderen Tieren vielleicht am ehesten als Schulter zu beschreiben wäre (Meeresbiologen mögen mir meine Krustentier-Anatomie-Ignoranz verzeihen). Sie sind ganz besonders geschmacksintensiv und saftig, allerdings auch durchzogen von zahlreichen Schalenstücken. Zubeißen, zuzeln, spucken und nicht irritieren lassen ist hier die Devise
Kollege Corti merkt an, dass aus kaltem Wasser bessere Krabben kommen (das ist bei vielen Meerestieren so), was die Japaner und nördlichen Chinesen begünstigt. Zuchtkrabben, die es in Wien zu kaufen gibt, kommen, soweit ich das überblicke, meist aus Holland.