Civet de dinde, oder geschmorte Pute in Putenblutsauce
Eine vorweihnachtliche Truthahngeschichte
A tough old turkey with plenty of character makes the best civet, and only in a civet is turkey good to eat. Young turkey, like young sheep, calf, spring chicken, and baby lobster, is a pale preliminary phase of its species. (A.J.Liebling, “Between Meals - an Appetite for Paris”)
Als ich ein Kind war, war Truthahn unser traditionelles Weihnachtsessen. Schon einige Tage vor dem Heiligen Abend lag der riesige Vogel in einer großen Bratpfanne zwischen den Balkontüren und taute auf (er wurde immer gefroren gekauft), am 24. wurde er dann mit Speck belegt, mit Äpfeln gefüllt und mehrere Stunden in die Röhre geschoben, bis er außen knusprig, innen art-typisch trocken war. Ich habe unsere Weihnachtsessen in wunderbarer Erinnerungen. Mit Preiselbeeren und Saft war der Speck ein großer Genuss.
Seither habe ich kaum Truthahn mehr gegessen. Minus verklärter Kindheitserinnerungen, knusprigem Speck und Preiselbeeren bleibt wenig übrig, was für den Vogel spricht: sein Fleisch ist mager, meist so farb- wie geschmacklos, und einmal gegart trocken und/oder zäh. Industrieputen werden entsprechend zu dubiosen Produkten wie Putenschinken verarbeitet (Oder, wie ein Produzent selber sagt: “Ernährungsbewusste Genießer wissen den mageren, mild gewürzten Puten-Schinken aus bestem Putenbrustfleisch zu schätzen. Er besticht durch seine Schlichtheit und setzt dadurch einen minimalistischen Kontrapunkt in der finessenreichen Schinkenwelt.”)
Als ob das nicht schlimm genug wäre, werden sie ähnlich ungut gehalten wie viel zu viele Hühner, picken sich in enger Haltung gegenseitig halb tot (weswegen ihre Schnäbel gestutzt werden), und leiden unter ihrem eigenen abstrusen Gewicht. Nur dank “hoher Lebensfähigkeit” (Industriesprech) schaffen moderne Hochleistungs-Rassen es bis zum Schlachttag. Nichts, was ich gern unterstützen möchte.
Eine kurze Erinnerung: unter allen bis inklusive heute, 15.12., abgeschlossenen Jahresabo verlose ich drei meiner Bücher. Welches, dürfen sich die GewinnerInnen selbst aussuchen. Die Auswahl steht hier.
Dann habe ich vor ein paar Monaten “Between Meals” gelesen, A.J.Lieblings Erinnerungen an seine Zeit (und vor allem seine Essen) im Paris der 1920er Jahre. Der Mann, obwohl Amerikaner, dürfte eine ähnliche Meinung zu Puten gehabt haben. Er schwärmt über die kleinen, weniger feinen Pariser Bistros und ihre Freuden, die reichen Leuten, die nur in feinen Restaurants speisen, vorenthalten bleiben und schreibt: “He will not meet the civets, or dark, winy stews of domestic rabbit and old turkey. A tough old turkey with plenty of character makes the best civet, and only in a civet is turkey good to eat. Young turkey, like young sheep, calf, spring chicken, and baby lobster, is a pale preliminary phase of its species.”
Ich habe gestutzt und habe mich gefragt: Ist meine Putenphobie ungerecht? Habe ich bisher einfach nur die falschen Vögel, und noch dazu falsch zubereitet, gegessen?
Die Idee klingt zunächst vernünftig: Ein Civet ist klassischer rustikaler Eintopf, für den ein Tier - meist ein Hase - mit reichlich Zwiebel in Rotwein geschmort wird, ganz ähnlich einem Coq au Vin. Im Gegensatz zu diesem aber wird die Sauce des Civets mit dem Blut des jeweiligen Tieres gebunden.
“Without the blood”, bemerkt der Oxford Companion to Food, “makes for a milder taste, but purists argue that the blood is the essence of the dish. A civet is very complex to make, requiring a long list of ingredients and simmering overnight but the result is well worth the effort.” Das hat mich endgültig überzeugt, dass das Truthuhn eine zweite Chance verdient hat.
Erfreulicherweise hat sich der unerschrockene Heinrich S. bereit erklärt, mitzuprobieren. Wir mussten uns etwas gedulden, weil Truthennen erstens selten älter als sechs Monate werden und zweitens ihr Blut so gut wie nie zu bekommen ist. Befreundete Hobbyzüchter haben uns eine glückliche Freiland-Henne1 weit über den geplanten Schlachttermin hinaus gefüttert (was ein umso größeres Opfer gewesen sein dürfte, als dass sie zu Lebzeiten auf den Namen “Bissgurn” hörte) und dann auch noch ihr Blut aufgefangen, gerührt, damit es nicht stockt, und dann eingefroren. Noch einmal ein herzliches Danke dafür!
An einem vorweihnachtlichen Vormittag haben wir uns dann in seinem neuen Kochstudio an die Arbeit gemacht, eine alte Truthenne köstlich zu bekommen. Wir haben die Bissgurn zerlegt (Ober- und Unterkeule, Ober- und Unterflügel, Brüste und Karkasse) und alles bis auf die Brüste gut angebraten. Dann haben wir Wurzelgemüse gebräunt, alles mit Rotwein aufgegossen, Flügel, Beine und Karkasse zugegeben und alles gemeinsam im Rohr geschmort. Die Brüste haben wir für eine andere Verwendung aufgehoben.
Unser ursprünglicher Plan war, die Pute drei Stunden drin zu lassen, es hat aber schließlich mehr als fünf gedauert, bis sie weich gewirkt hat. Dann durfte sie in ihrem Saft erkalten, ein paar Tage später habe ich sie dann aufgewärmt, die Sauce mit dem Blut gebunden (Achtung, langsam einrühren, nicht mehr aufkochen lassen!), und mit den mitgeschmorten Schalotten, glacierten Maroni, Karotten und Kartoffeln serviert. Das Ergebnis war gemischt. Ein paar Lektionen:
Blut ist ein super Saucenbinder. Es gibt der Sauce eine fast puddingartig cremige Konsistenz und einen Geschmack, der ein wenig an dunkle, gewürzte Schokolade erinnert, ein bissl weihnachtlich und erstaunlich komplex, auch wenn es gleichzeitig die fleischigen Eigenaromen des Tieres etwas dämpft. Klassisch wurde die Technik gerade bei Hase oft eingesetzt (Lievre alla Royale ist ein berühmtes Beispiel, aber auch ordinäre Hasenpfeffer wurden gern mit Blut gebunden), und ich glaube, er ist wirklich das perfekte Tier dafür. Aber auch bei Hühnereintöpfen oder mit Rindfleisch (siehe Bruckfleisch) kann ich mir das sehr gut vorstellen.
Es gibt bei Schmorgerichten fast immer zu wenig Sauce. Es bleibt einfach nicht genug köstliche Schmorflüssigkeit über. Das Binden mit reichlich Blut hilft zwar etwas, mehr rauszuholen, es kann diesen Missstand aber nicht ganz beheben. Ich habe noch mit etwas zufällig anwesender Wachtelsuppe gestreckt, aber auf sowas kann man sich nicht verlassen. In der Renaissance und dem Barock war es deswegen üblich, eigene Saucenvögel zu schmoren bzw. zu braten, die nur für ihren Saft ausgepresst, aber nicht serviert wurden. Je älter ich werde, desto besser finde ich die Idee. (Suppe aus alten Tieren machen und dann ordentlich reduzieren geht natürlich auch.)
Truthennen können schon gut und nach was schmecken, wenn man sie nett behandelt und älter werden lässt. Unsere hatte einen intensiven, ins Wildige kippenden Geschmack, der daran erinnert, dass Truthühner immer noch durch Nordamerikas Wälder fliegen.
So richtig mit Genuss essbar sind alte Vögel im Eintopf trotzdem nicht. Das Fleisch war zwar mürb, aber trocken, mit einer Konsistenz, die den mitgereichten glacierten Maroni oder einem überbackenen Vanillekipferl sehr ähnlich war. (Während ich das hier tippe, liegen unsere verbleibende Keule und ein Flügel nochmal für acht Stunden bei 80 Grad im Sous Vide Becken, um zu schauen, ob sich noch was tut. Viel Hoffnung habe ich nicht.)
Ich verstehe voll und ganz, dass Geflügelliebhaber Truthühner als Ziervögel halten wollen - sie sind prächtig seltsame Tiere. Zum Putenesser bekehrt hat mich der Versuch aber nicht. Ich würde weiterhin viel lieber Tauben, Wachteln, Perlhühner, Enten oder Hühner (in der Reihenfolge absteigender Köstlichkeit) genießen.
Die Rumänen, sagt mir mein dort lebender Schwager, essen jede Menge Truthahnsuppe. Ich halte das für eine sehr gute Idee. Idealerweise macht man es mit guten Puten wahrscheinlich so ähnlich, wie die Menschen in der Emilia es seit jeher mit Kapaunen tun: das Fleisch mit Schweinefett pürieren, in feine Tortellini füllen und dann in der köstlichen Suppe der Vögel servieren. Gute “Tortellini in Brodo” sind eine der großen kulinarischen Freuden der Welt.2 Auch Pulled Truthahn in Tacos oder einer Lasagne kann ich mir gut vorstellen.
Auch meine Mutter ist irgendwann auf Ente als Weihnachtsvogel umgeschwenkt. Wir waren uns alle einig, dass das eine gute Entscheidung war - schon allein, weil sie schneller aufgetaut und durchgebraten war, besser ins Rohr passte, und wir dann nicht tagelang Truthahnsandwiches essen mussten.
Als ich das Weihnachtskochen übernommen habe, bin ich einige Zeit lang der Ente treu geblieben, dann wurde ich experimentell, jetzt bin ich seit ein paar Jahren wieder beim Geflügel gelandet. Heuer gibt’s Birkl-Perlhuhn mit Morcheln, in Vin Jaune geschmort.
Ich weiß nicht, was für eine Rasse es war, aber es muss eine alte gewesen sein. Sie war nach anderthalbjahren immer noch "nur” 4,5kg schwer und damit eine kleine Pute.
Die Tortellini in der Suppe enthalten traditionell kein Kapaunenfleisch, sondern nur Würste und Fett. Ich habe meine trotzdem einmal auch mit Kapaunenresten gefüllt und war sehr zufrieden.
Sehr geehrter Herr Müller, ihr Weihnachtsessen, also das Perlhuhn mit Morcheln, es wäre ganz wunderbar wenn Sie da einen Einblick in ihr Rezept geben könnten… ich bin auch noch etwas auf der Suche… Herzlichen Dank!!