Wie der Granatapfel Freude macht
Auf Instagram finden sich für #pomegranate erstaunliche 2,1 Millionen Beiträge, mehr als doppelt so viele wie für die Feige und ein paar hunderttausend mehr als für die gewöhnliche Birne. Ich finde das erstaunlich für eine solche Nischenfrucht1 und ein eindrücklicher Beweis dafür, wie gut der Granatapfel aussieht. Es wäre aber unfair, ihn als den Influencer unter den Früchten - gutaussehend, aber nichts dahinter - abzutun.
Der beste Granatapfelschnitt: schön, aber unnötig. Aufgesprungen ist besser.
So wie seine Seelenverwandte, die Artischocke, lässt auch der Granatapfel sich nicht hetzen. Nur, wer sich auf ihn einlässt, kommt in seinen Genuss. Er verhält sich zu modernen Früchten wie ein Fischkopf zum Filet: Er bietet keine einfachen, großen Bissen, sondern will zerlegt, gezuzzelt, mit Bedacht genossen werden. Dann aber ist er ganz köstlich: süß und gleichzeitig bitter, saftig und asdringierend, knackig, erfrischend, schön aber mitunter ein wenig kompliziert. Er ist kein süßer Tropentraum, sondern eine Frucht wie das echte Leben.
Das Internet ist zwar voll von Videos, die demonstrieren wollen, wie das Schälen eines Granatapfels ganz einfach und schnell geht (das da ist meiner Meinung nach die beste Methode). All diesen Versprechungen zum Trotz bleibt er die Frucht für alle, die nachher nichts mehr vorhaben.
Der Granatapfel ist ein altes Obst: Seine Heimat ist der heutige Iran, er hat aber schnell rund ums Mittelmeer Karriere gemacht. Im antiken Troja wurden Granatapfelförmige Trinkkelche gefunden, in der griechischen Mythologie kann Persephone ihm nicht widerstehen, und auch im Alten Testament wird er lobend erwähnt. Er stammt aus einer Welt, als Zeit nicht Minuten und Sekunden wurde.
Die beste Art, ihn zu genießen, ist meiner Meinung nach, sich in aller Ruhe mit ihm hinzusetzen und ihn ganz langsam aufzuessen, rubinroter Samen für rubinroter Samen, am besten nach einem ausgiebigen Abendessen. Ideal sind jene Exemplare, die so reif sind, dass sie bereits von selbst ein wenig augesprungen sind: Sie lassen sich über einem tiefen Teller wunderbar aufbrechen und dann ganz langsam und mit Bedacht auseinander nehmen.
Der Granatapfel bekommt so die Aufmerksamkeit, die er verdient, und der Esser zum kulinarischen Genuss auch noch den haptischen. Er wird dann ein wunderbarer Herbstabend- und Gesprächsbegleiter, ganz besonders für jene Menschen, die nicht recht wissen, was sie mit ihren Fingern anfangen sollen.2
Wer sich das Schälen sparen und seinen Geschmack verkochen will, greift am besten zu Granatapfel-Molasse, einer Grundzutat der persischen und türkischen Küche3: Die Kerne werden gepresst und der Saft so lange eingekocht, bis er zähflüssig wird4. Die Molasse schmeckt fruchtig sauer und üppig süß und ist wunderbar geeignet zum Abschmecken von (Lamm)Eintöpfen, geschmortem Mangold oder Zichorien, für Babaganoush, Fleischbällchen oder Salatdressings. Auch in Pastasaucen mische ich sie manchmal.
Falls Sie skeptisch sind bei der Anschaffung mehr oder weniger exotischer Zutaten, weil sie fürchten, es nur einmal zu verwenden: sorgen Sie sich nicht! Granatapfelmolasse gehört zu den Dingen, die mit so viel harmoniert, dass sie schnell in ihrer Küche heimisch werden wird. Außerdem hält sie ziemlich ewig. Wer es nicht selbst machen will, kann hier eine sehr gute Version kaufen, und die da ist wahrscheinlich auch nicht schlecht. Wie immer gilt: lesen Sie die Zutatenliste, es sollte nichts außer Granatapfel drin sein.
Und sollten Ihnen einmal ein paar Äpfel oder Kerne übrig bleiben: pressen Sie sie zu Saft, streuen Sie sie über georgische Melanzani-Nuss-Rollen, mischen Sie sie in Safranreis (vielleicht ihr natürlichster Lebensraum außerhalb der Schale) oder auf/um geschmorten Lammstelzen oder -Bäuchen verteilen.
Es gibt übrigens große Qualitätsunterschiede zwischen Granatäpfeln: ihre Säure, Bitterkeit und die Zahl und Größe der kleinen Kerne in den Rubinen variiert stark. Falls Sie überzeugt sind, Granatapfel nicht zu mögen, haben Sie vielleicht bisher immer Pech gehabt. Leider kenne ich keine Möglichkeit, von außen die Qualität eines Granatapfels zu bestimmen - mir kommt vor, je hässlicher, desto besser, aber das kann Einbildung sein. Auch die Farbe ist leider kein sicherer Hinweis. Dunkelrote Kerne wie auf dem Foto sind meiner Erfahrung nach eher sauer, hellrote bis rosane süßer. Kann aber wieder Einbildung sein. Die sicherste Methode ist, einen Händler (oder Baum) zu finden, dem Sie vertrauen. Und nicht aufgeben, es lohnt sich!
In der westlichen Welt. Im Osten ist er groß. Aber die meisten Instagram-Nutzer sitzen halt im Westen.
Auch gebratene Maroni eignen sich dafür wunderbar. Mit einem Glas kräftigen Weißwein genießen, während zum Beispiel der Eintopf schmort.
In (Süd)Italien wird dick eingekochter Traubensaft ähnlich verwendet, auch wenn ihm ein bisserl die schöne Säure fehlt. Wenn ich mich richtig erinnere, haben die Leute hinter dem Alimentary der Saint Charles Apotheke vor Jahren viel mit eingekochten Fruchtsäften gearbeitet. Wäre toll, wenn sich das wieder ein wenig verbreiten würde.
Die (gepressten) Kerne können getrocknet und zu Pulver gemahlen werden. Das Ergebnis wird in indischen Geschäften als Anardana verkauft (der Oxford Compagnion to Food behauptet aber, dass nur besonders saure Sorten für Anardana verwendet werden). Die Inder haben überhaupt eine große Tradition des Kerne zu Gewürzpulver Mahlens. Ich erinnere mich regelmäßig mit Freude an ein herrlich saures Mangokernpulver, dass ich auf dem Gewürzmarkt in Delhi kosten durfte.