Meeresfisch-Lexikon, vielleicht Teil 1
Eine kleine Vor-Sommerurlaubs-Übersicht für mehr Spaß in der italienischen Fischhandlung
Ich würde ja sehr gern viel öfter über Meeresfisch schreiben, vor allem, wenn ich wie jetzt gerade in Italien bin und wenig anderes esse. Ich halte mich dann aber regelmäßig zurück, weil ich mir denke, dass das Thema in einem Binnenland, wo nun einmal die meisten meiner LeserInnen sitzen, von begrenztem Interesse ist
Nun aber naht der Sommer und ich schätze, es wird den/die eine(n) oder andere(n) auch an den Mittelmeer-Strand verschlagen. Ich traue mich daher, hier einen kleinen Guide zu bringen: kurze Erklärungen und Zubereitungs-Tipps für mehr Spaß beim (Urlaubs-)Fischgeschäftbesuch.
Ich habe versucht, mich an übliche Arten zu halten, die ich kochenswert finde. Allerdings ist das Mittelmeer groß, und das Fischangebot überall ein wenig anders, weil andere Fische an anderen Orten leben, oder manche Arten einfach mehr oder weniger geschätzt werden. Meine Liste hat daher eine klare, süditalienische (thyrrenisches Meer) Schlagseite, nicht nur, auch bei den Namen1.
Klassiker wie Goldbrasse, Oktopus oder Miesmuscheln habe ich vorerst weggelassen, weil die eh die meisten Menschen, die Fisch essen, kennen. Wer nicht ans Mittelmeer fährt: fast alle Fische aus dieser LIste gibt es auch in der Binnenland-Fischhandlung - Gastrofisch Brač etwa hat sie zumindest gelegentlich Programm. Und wer mehr über Süßwasserfisch wissen will: mein Buch dazu (mit dem Luki Nagl) gibts hier.
Ein paar Worte zu Überfischung und nachhaltigem Fischkonsum: Reden Sie mit ihrem Fischhändler und kaufen Sie Fisch in Geschäften, die den Fang von kleinen Küstenfischern verkaufen. Die fischen nämlich seit Jahrtausenden, ohne Fischbestände zu gefährden, auch Thun- und Schwertfisch. Und gehen Sie ohne Erwartungen ins Fischgeschäft. Kaufen Sie, was frisch gefangen wurde, nicht, was Sie immer schon gegessen haben. Ich hoffe, diese Liste wird Ihnen ein bisschen dabei helfen. Je mehr verschiedene Fische wir essen - und den Fischern auch abkaufen - desto weniger Druck liegt auf den wenigen, berühmten und in jedem Einkaufscenter-Sushiladen gefragten Arten. Und: wer große Fische kauft, hat mehr von ihnen.
Bevor es mit den Fischen losgeht, noch eine kurze Übersicht über meine liebsten Gartechniken.
In umido
Eine wunderbare Technik für alle Fische, die entweder sehr weiches, leicht zerfallendes Fleisch haben oder zum Austrocknen neigen. Ein wenig Knoblauch in Olivenöl anbraten, ein paar Cocktailtomaten dazu werfen, ein wenig einköcheln lassen, nach Lust, Laune und Fisch mit etwas Fischsauce, Kapern, Oliven, kleinen Shrimps und dergleichen würzen, und dann den Fisch bzw. das Filet in der Sauce auf ganz niedriger Hitze wenige Minuten gar ziehen lassen. Geht auch sehr gut mit Tintenfischen und Oktopoden, es dauert dann allerdings 30 bis 40 Minuten, bis die weich sind. Und ja nicht extra salzen, Kopffüssler lassen beim Garen sehr viel salzige Flüssigkeit.
In acqua pazza
Ebenfalls für zum Austrocknen neigende Fische gut geeignet wie in umido, allerdings eher für jene, die einen zarten Eigengeschmack haben. Aus Olivenöl, Knoblauch, Cocktailtomaten, Lorbeerblatt, Sellerie und sonstigen Aromaten der Wahl mit Weißwein einen Fond köcheln, dann von der Hitze nehmen und die Fischfilets zugedeckt darin gar ziehen lassen. Mit etwas von dem (eventuell reduzierten) Sud servieren.
Gegrillt/Gebraten
Selbsterklärend. Perfekt für fettere Fische, vor allem Blaufische wie Sardellen, Makrelen oder Lampuga. Filets Am besten fast nur auf der Hautseite grillen/braten, bis die knusprig ist, und dann nur ganz kurz wenden, um die Fleischseite fertig zu garen. Beim Braten in der Pfanne ein Gewicht auf die Filets legen, damit die Haut gleichmäßig mit der heißen Pfanne in Kontakt ist. Braucht meist keine extra Würze außer Salz und eventuell ein wenig geriebene Zitronenschale. Fade (Süßwasser)Fische profitieren von einem post-Grill-Anstrich mit Fischsauce.
Roh
Oft meine liebste Art, Fisch zu essen. Am besten angehen, wie einen Salat. Geht super pur, mit Obst gemischt, sanft mit Olivenöl und Zitronensaft gewürzt (für milde weißfleischige Fische) oder kräftig mit Sojasauce, Chili und Ingwer verfeinert (für dunkelfleischige Fische wie Makrele oder Lampuga).
ACHTUNG: Die EU schreibt vor, dass Fisch für mindestens einen Tag gefroren werden muss, bevor er roh an Gäste serviert wird, um etwaige Parasiten zu töten. Die gibt es aber nicht in jeder Gegend, nicht jeder Fisch ist gleich anfällig, und wer sich auskennt, kann sie mitunter auch sehen. Reden Sie am besten im Zweifel mit dem Fischhändler Ihres Vertrauens.
Eine kleine und unvollständige Liste an Fischen, denen Sie wahrscheinlich in der italienischen Fischhandlung begegnen werden
Alletterato (Kleiner Thun)
Alletterato sind thunfischartigen Fische. Sie sehen ihrem Verwandten meist recht ähnlich, sind aber kleiner, und haben generell einen intensiveren Geschmack, der mehr an Makrelen oder Sardinen erinnert, und ein Fleisch, dass beim Garen zum Austrocknen neigt. Preislich sind sie wie alle Blaufische meist für wenige Euro das Kilo zu haben. Am allerbesten sind sie meiner Meinung nach roh, in grobe Würfel geschnitten, und dann mit etwas Sojasauce, Chili und Zitrone/Limette mariniert. Sonst sind sie sehr gut für Pastasaucen und in umido geeignet. Zum Grillen in Koteletts (also quer) schneiden und sehr heiß und kurz grillen, sodass sie ihnen roh bleiben. Wer sich die Arbeit machen will, kann sie auch kochen und sott’olio einlegen.
Die meisten Thunfischartigen ziehen in Südialien im Herbst und bis in den frühen Winter hinein vorbei. Achtung: Die Lebern von Thunfischen und seinen Verwandten ist meist ungenießbar bitter.
Lampuga (Gemeine Goldmakrele)
Vor allem für September-Urlauber interessant, weil der Fisch dann in Süditalien durchzieht und ganz besonders fett und köstlich ist. Im September sind sie mitunter die einzigen Fische, die hier zu kaufen sind, weswegen ich mich vergangenes Jahr einige Wochen so gut wie ausschließlich von ihnen ernährt habe.
Lampuge sind nach den Sardinen meine vielleicht liebsten Blaufische: herrlich kräftiger, aber nie unangenehm öliger Geschmack, festes, saftiges Fleisch und eine Haut, die auf dem Grill fantastisch knusprig wird. Kosten tun sie, wie alle Blaufische, ebenfalls wenig. Wer sie nicht grillen/braten will: auch geschmort sind sie wunderbar, etwa mit Tomaten, Kapern und Oliven.
Merluzzo (Seehecht)
Ein zu wenig gewürdigter Held im Fischgeschäft. Merluzzi gibt es in Süditalien so gut wie immer im Angebot. Meist sind sie hand- bis unterarmgroß, gelegentlich sind auch mehrere Kilo schwere Exemplare zu haben. Wie sein Verwandter, der Kabeljau, hat auch der Merluzzo einmal gegart ein blättriges, mageres Fleisch und ist perfekt für Fish’n Chips bzw. als Backfisch in Bierteig geeignet. Sonst kann er sanft in umido geschmort oder für Pastasauce verwendet werden. Roh gibt er ein passables Tatar ab, kleine Exemplare können frittiert und im Ganzen gegessen werden. Zum Grillen oder braten eignet er sich nicht. Sehr gute Leber.
Triglia (Streifenbarbe)
Neben dem Merluzzo der vielleicht häufigste Fisch in meiner Fischhandlung - so häufig, dass das Fischrestaurant von Gerardos Bruder nach ihm benannt ist. Triglia haben einen ausgeprägten Geschmack, der nicht jedermanns Sache ist: manche finden sie köstlich, andere können nicht viel mit ihnen anfangen. Ihr Fleisch ist braun-weiß, üppig, und zerfällt leicht, wenn sie einmal gegart sind. Sie sind äußerst vielseitig und können sowohl gebraten/gegrillt, als auch geschmort oder im ganzen frittiert werden. Am besten sind sie meiner Meinung nach allerdings entgrätet, mit etwas Olivenöl und Zitronensaft mariniert und roh genossen.
Razza (Rochen)
Ein sehr billiger Fisch, auch, weil sein Fleisch beim Garen schnell breiig wird und nicht jedermanns Sache ist. Er darf daher niemals zu lang der Hitze ausgesetzt werden: bei kleinen Exemplaren wie jenem im Bild reichen zwei Minuten in der Sauce völlig. Die Franzosen sind wahrscheinlich die größten Meister darin, ihn köstlich zu bekommen, meist mit brauner Butter und Kapern. Die Italiener ersetzen die Butter mit Tomatensauce und schmoren in kurz in umido, ebenfalls mit Kapern. Wer ihn 30 Sekunden in kochendes Essigwasser taucht, kann die Haut gut abziehen. In Süditalien wird er auch oft frittiert, ich habe das aber noch nie probiert.
Pezzogna (Rote Fleckbrasse) und Mormora
Ein unterschätzter, köstlicher Fisch, der meist für wenig Geld zu haben ist. Nicht sehr groß, doch einige Gräten, aber ein sehr guter, kräftiger Geschmack, und ein Fleisch, das gegart zwar weich, aber angenehm cremig wird. Super vom Grill oder in umido. Die Mormora sieht der Pezzogna nicht nur ein wenig ähnlich, sondern ist auch ebenfalls köstlich, ebenfalls unterschätzt, ebenfalls günstig. Super vom Grill.
Alici (Sardellen)
Sind in jeder italienischen Fischhandlung zu haben und wahrscheinlich mein Lieblingsfisch. Kräftiger, typischer Geschmack, üppiges Fleisch, potenziell knusprige Haut und Gräten, die klein genug sind, um ignoriert zu werden. Auch das Ausnehmen ist ausnehmend leicht: Kopf nach hinten knicken und mitsamt den Innereien abreißen. Fertig. Wer will, kann sie nun noch der Länge nach mit dem Fingernagel öffnen und eventuell die Mittelgräte entfernen, aber wirklich nötig ist das meistens nicht. Sie sind für die meisten Zubereitung geeignet: roh mariniert (wenn sehr frisch), frittiert, gegrillt oder gebraten (wenn groß), gefüllt, gebacken, paniert, oder in (Tomaten)Sauce gegart und mit Pasta serviert.
Hochsaison im thyrrenischen Meer ist der Mai und der Juni, wenn die Sardellenschwärme hier vorbei ziehen und im warmen Wasser Nachts an die Oberfläche kommen. Die Fische werden dann teilweise mit speziellen Netzen gefangen und am Morgen verkauft, ohne je gekühlt worden zu sein. Sie roh zu essen ist ein ganz besonderes Vergnügen.
Cicala/Canocchi (Heuschreckenkrebse)
An Canocchi ist nicht viel dran, aber sie haben ein wunderbares Krustentieraroma und kosten nicht viel - sie sind daher ideale Pastasauce- oder Eintopfaromatisierer. Zehn Krebse ergeben eine köstliche Pastasauce für Zwei. Am besten lebend kaufen und noch lebend in die kochende Sauce werfen (und davor im Tiefkühler in Kältestarre fallen lassen). Wenn sie sehr groß sind (zwei Finger dick oder mehr), kann es lohnen, sie mit einer Schere den Rückenpanzer entlang aufzuschneiden und das Fleisch auszulösen - allerdings wird es beim Garen sehr schnell breiig und der Panzer ist so stachelig, dass es schwer ist, sich dabei nicht weh zu tun.
Mitunter werden auch große Bärenkrebse als Cicala di Mare angeboten. Die sind das vielleicht beste aller Mittelmeer-Krustentiere, aber das ist eine andere Geschichte (siehe auch Cernia Foto unten).
Gambero Rosso (Rote Garnele)
Zugegeben, die sind mindesten so bekannt wie Goldbrassen, aber einfach zu gut, um hier nicht erwähnt zu werden. Nicht umsonst heißt der wichtigste italienische Restaurant- und generelle Fressguide nach ihnen. Viel besser, als große Gamberi Rossi (hier Gamberone genannt) wird Essen nicht: Ihr Fleisch ist süß und knackig und geschmacksintensiv, ihre Köpfe bzw. die Innereien darin pures Meeres-Ambrosia. Ich bin immer wieder überrascht, wie sehr sie nach Trüffel schmecken, und lasse für sie liebend gern jeden Hummer oder Scampo stehen.
Wie alles, was so gut ist, ist ihnen nichts hinzuzufügen und sie sind mit größtem Respekt zu behandeln. Interessanterweise finde ich sie gegart besser als roh: am allerköstlichsten werden sie kurz und heiß am Grill gebraten, aber eine Gusseisenpfanne und ein Gewicht tun es zur Not auch. Ein Kilo für zwei ist ein echtes kulinarisches Fest.
Cernia (brauner Zackenbarsch)
Ein prächtiger Fisch, der in Süditalien oft in beachtlicher Größe angeboten wird - Tiere mit 3 Kilo sind regelmäßig zu haben, mitunter sind mir auch schon Exemplare von mehr als fünf Kilo untergekommen. Festes, weißes Fleisch, dass beim Garen ein wenig blättrig wird - ideal geeignet um in umido oder all’acqua pazza zubereitet zu werden, und der Kopf ist groß genug, um noch eine gute Fischkopf-Pasta oder ein -Curry abzugeben, vor allem wenn die Vorderflossen beim Filetieren noch dran gelassen werden. Lässt sich auch gut einige Tage trocken reifen. Super roh in dicke Stücke geschnitten als eine Art Sashimi, am besten mit etwas Orangen(schale) gewürzt. Die Hauptsaison für Cernia in Süditalien ist der Frühling und frühe Sommer, also etwa Mai bis Juli.
Dentice (Zahnbrasse)
Ein Raubfisch mit gefährlich aussehenden Zähnen und Fleisch, das kräftig und gut schmeckt, aber ein wenig zum Austrocknen neigt. Am besten ebenfalls in Umido schmoren, oder Filets vorsichtig glasig braten - die Haut kann nämlich ganz hervorragend sein, wenn sie knusprig wird. Die Leber und die Milch sind ganz köstlich, etwa gegrillt. Wie Cernia in Süditalien vor allem ein Frühjahrs- und Sommerfisch.
Fischnamen sind legendär umstritten und in vielen Fällen überall ein wenig anders. Ich bin kein Biologe und halte mich hier an die Nomenklatur von Gerardo, dem Fischhändler meines Vertrauens. Sollte ich grobe Fehler begehen bitte ich um Nachsicht und Mitteilung.