Es ist nicht einfach, ein kulinarisches Denkmal wie Krautfleckerl zu verändern und dabei nicht schlechter zu machen - und noch schwerer ist es, daraus ein neues, mindestens so gutes, wenn nicht noch besseres Essen zu kreiiern. Luis Prenningers Kimchifleckerl sind genau so ein unwahrscheinliches Gericht.
Hier findet zusammen, was ganz offensichtlich zusammen gehört, an dessen Vereinigung bisher aber niemand1 gedacht hat: Seidige Fleckerl und knackiges Kraut, geschmortes und vergorenes Gemüse, Wiener und Koreanische Hausmannskost. Das Ergebnis hat alles, was man sich von einem Alltags-Essen wünschen kann: Süße, Säure, Schärfe und Umami, es ist gleichzeitig aufregend, vertraut und befriedigend, überhaupt nicht bemüht oder seltsam, sondern schlicht süchtigmachend gut - und so überzeugend, dass es rückwirkend offensichtlich wirkt.
Luis ist 23, hat die vergangenen drei Jahre Philosophie und Politikwissenschaft in Warwick in England studiert, wenn er im Sommer zurück in Wien war, hat er in Wien kulinarische Pop Ups gemacht, zusammen mit seinem besten Freund Pepi Bräutigam. Eines davon hatte das Thema Wien. “Wir haben uns gemeinam hingesetzt, eine Liste mit klassischen Wiener Gerichten runtergeschrieben, und uns überlegt, wie können wir da einen “Pang” erzeugen”, sagt er. Die Kimchifleckerl waren geboren.
Mittlerweile ist Luis wieder ganzjährig in Wien und kocht im famosen Cafe Azzuro am Urban Loritz Platz. Die Kimchi Fleckerl stehen dort fix auf der Karte. Ich war vor zwei Wochen dort und schwer begeistert. Luis und sein Chef, Azzuro- und Kommod-Besitzer Stephan Stahl, waren so nett, mir zu zeigen, wie sie sie kochen. Sie sind mit etwas Vorbereitung auch in großen Mengen ziemlich einfach gemacht, fett und scharf, und damit meiner Meinung nach ideal vor, während und nach dem jahreszeitbedingten Feiern.
Wiener Küche und Kimchi, scheint mir, passen generell sehr gut zusammen - vielleicht, weil Sauerkraut, Paprika und Sardellen hier schon sehr lange essenzielle Zutaten sind. Auch Kimchi auf Grammelschmalzbrot etwa ist eine hervorragende Kombination, wie ich dank dem Christoph Fink weiß. Noch von mir unerprobt, aber potenziell sehr gut könnten Szegediner Kimchifleisch2, Erdäpfel-Kimchi-Gulasch, Kimchi-Grammelknödel oder ein ordentlicher Schweinsbraten mit Kimchi-Salat sein.
Ich glaube daher, Luis und Pepis Kimchiflecker haben das Zeug, in ein paar Jahrzehnten als Klassiker der Wiener Küche zu gelten, ganz so, wie sich einst das ungarische Gulasch hier breit gemacht hat3. Im Cafe Azzuro haben sie es schon zum meistbestellten Gericht gebracht. Und wenn das mit dem Klassiker nicht klappt, dann hoffe ich zumindest, dass sie für ein paar glorreiche Jahre oft nachgekocht werden.
Luis Kimchifleckerl
Luis macht sein Kimchi für das Restaurant nicht selbst, dazu ist er zu vernünftig. Er hat mit Stephan Stahl zahlreiche Kimchis durchprobiert und ist bei jenem vom Nakwon gelandet, dem koreanischen Supermarkt mit zwei Filialen in Wien. Das war auch lange mein Standard-Kimchi4 - dann habe ich aber nach einem direkten Vergleich beschloßen, dass ich das Jongga Premium Kimchi (im Chinaladen im Kühlregal) noch besser finde, aber sein Lieblingskimchi muss jeder selber finden.
Die Fleckerl machen Luis und Stephan frisch, und ich halte das für einen wesentlichen Teil des Erfolgs der Gerichts.5 Die Menge an Butter im Rezept wirkt (und ist) unanständig, sorgt aber dafür, dass die Fleckerl ziemlich gut flutschen.
Wer will, kann natürlich einfach seine/ihre Standard-Krautfleckerl machen und am Ende dann die Hälfte des Krauts durch Kimchi ersetzen - ist wahrscheinlich auch sehr gut. Ich rate trotzdem sehr zu einem Versuch dieses Rezepts.
Für den Teig
150g griffiges Weizenmehl
50g Weizengrieß
6 Eidotter
20ml Wasser
10ml Olivenöl
Eine Prise Kurkuma (optional, für die schöne Farbe)
Alle Zutaten gut zu einem Teig verkneten, zumindest eine halbe Stunde, gern auch länger rasten lassen, dann auf der Pastamaschiene nicht zu dünn ausrollen. Sie wollen etwas Biss haben, der dem intensiven Kimchigeschmack Konter gibt. Das bisschen Griess im Teig hilft auch dabei. Schräg in nicht zu kleine Fleckerl schneiden oder gleich einfach in Maltagliata Stücke zerreissen. Mit mehr Grieß stäuben und für später zur Seite stellen.
Wer eine genauere Anleitung zum Pasta selber machen will bitte hier entlang.
Für die Kimchifleckerl
1/4 weißer Krautkopf
2 Zwiebel
1 handvoll Zucker
Ordentlich Kümmel
Etwas Peperoncino
Ein paar Lorbeerblätter
250g Butter (oder, meine persönliche Anmerkung, Schmalz)
250ml trockener Weißwein
Helles Miso und (Balsam)Essig zum Abschmecken
Ungefähr 300g Kimchi
Zitronenschale und Petersil zum Garnieren
Ayran zum Servieren (optional)
Kraut und Zwiebel nudelig schneiden. Den Zucker in einer schweren Pfanne dunkel karamelisieren lassen. Mit dem Weißwein ablöschen, Kraut, Zwiebel, Gewürze und Butter zugeben und zu einer cremigen Konsistenz einkochen. Mit etwas hellem Miso und Essig abschmecken.
Das Kimchi gut abtropfen und in mundgerechte Stücke schneiden - Sie wollen ungefähr so viel Kimchi wie Kraut-Zwiebel-Mischung haben. In einer Pfanne das Kimchi kurz karamelisieren lassen, dann die Kraut-Zwiebelmischung zugeben und alles gut durchwärmen.
Währenddessen die Fleckerl in Salzwasser bissfest kochen, etwa zwei Minuten. Abseihen, zum Gemüse geben, gut durchschwenken und auf Teller verteilen. Mit frisch geriebener Zitronenschale und Petersil servieren.
Luis reicht gerne Ayram dazu (zum Trinken, nicht zum Drübergießen, wie das manche Gäste machen), quasi als Ersatz für den Wiener Sauerrahm.
Eine Google Suche liefert nur Cafe Azzuro Ergebnisse. Sollten Sie schon seit Jahren Kimchifleckerl machen, bitte ich um Entschuldigung und ein korrigierendes Posting. Und schämen Sie sich, dass Sie das Rezept nicht erfolgreicher geteilt haben.
Kimchi Jjigae ist jetzt auch nicht so anders.
"Dabey salze man es gehörig, gebe kein anderes Gewürz als türkischen Pfeffer (Paprika) hinzu, verfahre dabey aber mäßig, da er sehr ausgibt, und ein stark gepfeffertes Fleisch dem Deutschen nicht so, wie dem Ungarn, behagen möchte”, warnte die Autorin der “wirtschaftlichen Prager Köchin” 1819 in einem der ersten deutschsprachigen Gulaschrezepte.
Ich habe immer, vielleicht naiv, angenommen, dass die Leute vom Nakwon das Kimchi selber machen, weil es dort in kleinen selbst befüllten Plastikbehältern verkauft wird. Auch der Stefan Stahl vom Cafe Azzuro ist diesem Irrtum aufgesessen. Seit er es in 10 Kilo Portionen bestellt, weiß er aber, dass es Importware aus Korea ist.
Auch die einzigen Schinkenfleckerl, die mir je geschmeckt haben - jene im Landgasthaus Schiller in Sommerein - waren mit frischen Fleckerl gemacht.