Als ich begonnen habe, mich für Essen interessieren, habe ich oft vom L’Ambroisie geträumt. Ich habe damals gleich in mehreren Fine Dining Blogs von dem mythischen Drei Sterne Lokal am Pariser Place de Vosges gelesen, in dem die günstigste Vorspeise 120 Euro kostet, es kein Tasting Menü gibt, sondern nur à la Carte bestellt werden kann, und von dem gleich mehrere Menschen, die in viel mehr tollen Lokalen gegessen haben als ich, meinen, es sei das beste Essen ihres Lebens gewesen.1
Das war vor ungefähr 15 Jahren. Vergangene Woche war ich dann mit Freund M. erstmals wieder in Paris. Wir haben lange hin und her überlegt, wo wir essen sollen, eine ausgiebige Liste angelegt, und uns dann doch auch für einen Lunch im L’Ambroisie entschieden. Hier eine kleine Geschichte, wie es uns dort und anderswo geschmeckt hat.
Achtung: Wer Fine Dining für eine schreckliche Geldverschwendung hält und sich daran stört, dass manche Menschen das anders sehen, dem/der kann ich den Text nicht empfehlen.
L’Ambroisie
Das L’Ambroisie ist ein durch und durch unmodisches Lokal. Das berühmteste Gericht ist “Feuilleté de truffe ‘’Bel-Humeur’’, salade de mâche à la crème, hommage à Claude Peyrot”, eine Art Pie aus perfektem, schwebend leichtem knusprigem Blätterteig, gefüllt mit zwei fast Eishockeypuck-dicken Scheiben schwarzer Perigord Trüffel und, zwischen den beiden, einem ebenso mächtigen Stück Foie Gras. Gebettet wird das Ding am Teller auf ordentlich Trüffelpüree (Püree aus Trüffeln, nicht getrüffeltes Kartoffelpüree).
Fast so legendär ist “Escalopines de bar à l’émincé d’artichaut, nage au caviar Kristal”, drei fette Stücke eines kapitalen Wolfsbarschs, die auf fast rohe Artischocken und einen See aus Kaviar gebettet werden.
Beides schmeckt schwer vorstellbar gut.
Wenn der Kellner die “Feuilleté de Truffe” vor einen Gast stellt, empfiehlt er, sie erst einmal in der Mitte durchzuschneiden und ein paar Minuten daran zu riechen. Der Geruch, der ihr entströmt, ein intensiver Duft nach Trüffel, Gänseleber und Butter, ist betörend. Die ersten Bissen - wahrscheinlich die größten, die die meisten Menschen je von Trüffel nehmen - versetzen einen in eine Art Trüffelrausch, ein kurzer Pilztrip, der hinten im Gaumen beginnt und sich dann ähnlich wie die Schärfe von Kren ins Gehirn frisst, bloß, dass das Gefühl hier ungleich angenehmer ist. Die fett-seidige Gänseleber ist ein wunderbarer Kontrast zur krümeligen Trüffel, der warme Blätterteig hüllt das Ganze in pures Wohlgefallen.
Der Wolfsbarsch ist das Gericht, das jeden Skeptiker (wie mich) lehrt, Kaviar zu lieben. Die Fischeier werden warm serviert, was ihr Aroma durch die Decke gehen lässt, und von einer üppigen Sauce umschmeichelt, damit sie kräftig, aber niemals salzig oder zu fordernd fischig schmecken. Die Portion ist groß genug, dass man den Kaviar nach Lust und Laune mit dem großen Löffel essen kann - die einzige Art, wie er Spaß macht. Das sündhaft teure Zeug muss leider in großen Mengen oder gar nicht gegessen werden. Dass der Fisch auf den glasigen Punkt gegart, kapital und ganz köstlich ist, erledigt den Rest.
Das L’Ambroisie wurde 1981 Bernard Pacaud eröffnet, seit 1986 wird es durchgehend mit drei Sternen ausgezeichnet. Pacaud hat nie ein weiteres Lokal aufgemacht und steht jeden Tag selbst in seiner Küche. L’Ambroisie, und das schmeckt und spürt man bei jedem Bissen, ist das Lebenswerk eines qualtitäsbesessenen Handwerkers mit ziemlich gutem Geschmack.
Sein Essen ist für Leute, denen Geld (zumindest für einen Nachmittag oder Abend) egal ist, und trotzdem das genaue Gegenteil von Protzerei. Pacault verlangt von seinen Gästen beim Zahlen schlicht die gleiche Kompromisslosigkeit, die er in der Küche walten lässt. Sicher, er verwendet sauteure Köstlichkeiten in selten gekannten Mengen (laut Legende wäre er einmal seinen Preisen zum Trotz fast wegen zu hoher Einkaufskosten pleite gegangen), kocht aber aus ihnen große Gerichte in reduzierter Perfektion. Er serviert schlicht das Allerbeste, was er kriegen kann, auf die seiner Meinung nach bestmögliche Art.
Auf seinen Tellern gibt es keine Schäumchen, Bremsspuren und/oder Gelees, nur makelloses Fleisch, Fisch, Gemüse und Saucen. Seine Gerichte bestehen aus drei, vier erstklassiger Zutaten, die er mit viel Butter, Obers, Trüffel und etwas Hitze noch besser macht. Dass er viele seiner Gerichte seit Jahrzehnten kocht, macht sie nicht altmodisch, sondern bloß perfekt zubereitet.
Kulinarisch aufregend und aufwühlend wie, sagen wir, ein roher Mittelmeer-Seeigel oder eine blutige, über dem Feuer gebratene Taube, ist das Essen im L’Ambroisie nicht. Alles, was wir hier kosten durften, war zartes Wohlfühlessen, das essbare Äquivalent zu einem frisch gemachten, herrlich weichen Bett. Pacauds Gerichte, sind perfekt geschliffen, ecken- und kantenlos, meist mit weicher Konsistenz und umschmeichelt von üppigen Saucen. Es gibt kaum Röstaromen, keine Schärfe oder kräftige Gewürze. Wie durch in Wunder wird das aber trotzdem nicht langweilig, sondern immer betörend gut.
Die Jakobsmucheln von “Noix de Saint -Jacques à la mousseline de persil, sauce safranée” werden nicht scharf angebraten, sondern sanft in Butter gar gezogen. Sie sind keine aufregende Mischung aus knusprig und roh, sondern durchgehend schmeichelnd samtig-süß weich, und ruhen in einem Pool aus Safran-Saucen-Perfektion (samt Petersilpüree). Das einzig knackige im Gericht sind die enormen Trüffelscheiben. Die “Île flottante à la truffe noire, velouté de topinambours” ist Freude zum Löffeln: ein weiches Ei, noch weichere Topinamburcreme, und, wenig überraschend, jede Menge schwarze Trüffel.
Die einzige Schwäche des Restaurants sind die Nachspeisen. Das Signature Dessert, die “Tarte fine sablée au cacao amer, crème glacée à la vanille Bourbon”, schmeckt wie der perfekte Ovomaltine Riegel - sehr gut, aber für mich ohne die Magie der besten anderen Gerichte; “Arlettes caramélisées au fromage blanc, cristallines d’agrumes” war sogar wenig aufregend, bis auf die fantastischen kandierten Zitrusschalen. Der beste süße Bissen waren perfekt geröstete, zart salzige und mit Kakao überzogene Mandeln als Petit Four. Mit um die 40 Euro sind die Nachspeisen zumindest vergleichsweise günstig bepreist.
Noch dieses Jahr wird Pacaud, wenn ich das richtig verstehe, endgültig in Pension gehen, aktuell übergibt er langsam an seinen Nachfolger und langjährigen Sous Chef Chikara Yoshitomi. Dass der Mann Japaner ist, macht Hoffnung, dass das L’Ambroisie noch lange so bleibt, wie es ist. Wer noch beim Meister persönlich essen will, sollte sich aber beeilen. Es ist, wenn man sowas Unmodisches mag, ein unvergessliches Erlebnis.
Benoit
Der zweite Höhepunkt unseres Fresstrips war ganz klar das Benoit, ein Ein-Stern-Bistro von Alain Ducasse, das vor allem Touristen besuchen2. Ich wollte zunächst in einem etwas mehr von normalen Parisern frequentiertem Bistro reservieren, habe aber unabsichtlich das falsche Lokal gebucht und musste dann in letzter Minute umdisponieren. Wir haben es nicht bereut.
Wir haben feine Foie-Gras-Kalbszungen-Terrine gespeist, gekochten Kalbskopf (von jedem Teil ein Stück, ein Fest der Konsistenzen!) in erfrischend saurer Sauce Ravigote, cremig-schweinische, knusprig gebratene Blutwurst mit auf den Punkt gegartem süßem Apfel und buttrigem Püree, und ein flauschiges Savarin, mit so viel handgeschlagenem Schlagobers aus dem Silbereimerchen, wie wir wollten. Auch den guten Armagnac gießt die Kellnerin so lange üppig über den Kuchen, bis der Gast “Stopp” sagt. Nur die Paté en Croute war nicht überzeugend, und die Cassoulet mit Hahnenkämmen, die wir extra bestellt haben, hätte es auch nicht unbedingt gebraucht.
Das Silberbesteck und -Geschirr im Benoit ist so perfekt poliert wie die Messingbeschläge der Bänke und Wände, das Personal ist professionell und äußerst freundlich. Als wir dem Sommelier gesagt haben, dass wir nur Wasser trinken, hat er uns trotzdem das Gefühl gegeben, eine gute Entscheidung getroffen zu haben.
Dieses Gesamtkunstwerk der Gastlichkeit kostet zu Mittag für drei Gänge 42 Euro. Ich habe selten für so wenig Geld ein so wunderbares Restauranterlebnis gehabt.
Septime
Die verbleibenden Essen - zwei Abende und ein Lunch - haben wir dem modernen Paris gewidmet, und wurden etwas enttäuscht.
Das Septime ist aktuell das wahrscheinlich gefragteste Lokal der Stadt: die Reservierungen öffnen jeden Tag für genau heute in drei Wochen, und binnen zwei, drei Sekunden ist der gar nicht so kleine Laden ausgebucht. Wir mussten mehrere Anläufe nehmen, um einen Tisch zu ergattern, und haben es nur mit Autocomplete des Formulars geschafft.
Das Lokal ist sehr hübsch und sehr gemütlich, die Stimmung super, die Gäste jung und schön, das Essen gut - aber ziemlich internationaler Hipsterbistro-Standard. Knuspriger Kohl mit Kimchi Mayonnaise, rohe Tintenfischnudeln mit guter, aber sehr intensiver und drüber fahrender Pilzsauce, Weine, die 100 Euro die Flasche kosten und zu oft schmecken wie Fruchtsaft, der schon ein paar Tage offen bei Zimmertemperatur steht. Als richtig köstlich ist mir nur der Hauptgang, die gegrillte Wachtel, in Erinnerung geblieben, die Desserts habe ich eine Woche später schon wieder vergessen.
Wir waren mit alten Freunden dort und hatten einen sehr netten Abend für 200 Euro pro Person. Ich gehe zum Essen lieber zweieinhalb Mal nicht ins Septime, und stattdessen einmal ins L’Ambroisie und treffe die Freunde wo anders.
Mokonuts
Ein Tipp von Dylan Watson-Brawn, dem Mastermind des Ernst in Berlin, und der Beweis, dass Paris groß genug ist, um hier ein kalifornisches Bistro mit fast ausschließlich amerikanischen Gästen zu betreiben. Wir waren zwei Mal hier - Frühstück und Lunch - und beide Male waren wir die einzigen Nicht-Amerikaner im Raum. Die Besitzer sind entzückend (sie serviert, er kocht in der offenen Küche), das Essen ist sehr gut (meiner Meinung nach besser als im Septime), etwas klassischer, aber auch mit starkem Hipstereinschlag: Morchelpasta, gebratenes Schwein mit Nduja, Jakobsmuschel-Carpaccio mit Zitrusfrüchten, Bayrische Matchacreme. Mein persönliches Highlight war wahrscheinlich die frische, hausgemachte Ricotta-Zitrus-Schnecke zum Frühstück. Wer einfach gut essen und sich in Paris wie in San Francisco fühlen will, ist hier gut aufgehoben.
Le Servan
Das Lokal der Frau des Manns hinter Septime. Ein nettes Nachbarschaftslokal, aber nicht mehr. Wieder “Small Plates to Share”, wieder “Natural Wine”. Toll war ein warmes, knuspriges Brioche mit rohen Sardinen, für den Rest muss ich nicht meine eigene Stadt verlassen. Bei den Centralas oder im Cafe Azzuro esse ich mindestens so gut.
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