Warum geräucherte Ratte sicherer ist als rohe Fledermaus
Zu Beginn der Pandemie habe ich ein Interview mit Chris Walzer gemacht, Wildtierarzt bei der Wildlife Conservation Society in New York und seit vielen Jahren rund um die Welt damit beschäftigt, dass Wildtiere und Menschen gut miteinander auskommen. Ich habe ihn gefragt, was ihm denn derzeit die meisten Sorgen bereitet, wie gefährlich Bushmeat in Afrika ist, und was wir außer dem Verzicht auf Fledermaussuppe tun können, damit die nächste Pandemie etwas länger auf sich warten lässt.
Das Interview hätte eigentlich im damals geplanten dritten All You Can Eat Magazin erscheinen sollen, aus dem dann die Healthy Times wurde. Weil ich durch diesen Tweet (Achtung: Bilder von toten Tieren) vor kurzem wieder daran erinnert wurde, bringe ich Teile davon nun hier.
Asiatischer Wildtierkonsum ist gerade ziemlich in Verruf geraten. In Afrika wird allerdings weitaus mehr Fleisch von Wildtieren gegessen, darüber redet derweil aber kaum einer. Ist das ein Fehler?
Es gibt große Unterschiede zwischen Afrika und Asien. Erstens kommen In Afrika 95 Prozent der Wildtiere tot auf den Markt, und zweitens werden sie sehr oft auch geräuchert. Das macht das Fleisch wesentlich sicherer. Ein großes Glück, denn in Afrika gibt es viele wirklich gefährliche Viren und oft gar keine Kontrolle.
Außerdem sind Bushmeat und Wildtierverzehr in Afrika ganz wichtig, ganz einfach für das Überleben. Das ist ein essenzieller Unterschied zu Südostasien, wo Wildtierkonsum mittlerweile ein Luxus für die neue Mittelklasse ist, die die Möglichkeit hat, sowas zu kaufen. Ein Schuppentier ist ein reines Statussymbol. Ratten sind in Asien zwar eine gute Proteinquelle, gerade für ärmere Leute, sie sind aber keine Notwendigkeit - es gibt dort ja auch Hühner, die sind auch leicht und billiger zu kriegen.
In Afrika ist das ganz anders: da gibt es Millionen Menschen, die abhängig sind von Wildtierfleisch zur Deckung ihres Proteinbedarfs. Und es ist ganz wichtig, dass indigene Völker und lokale Gemeinden weiterhin einen Zugang haben zu einer nachhaltigen Nutzung von Wildtieren.
Das heißt nicht, dass Wildtierkonsum dort kein Problem wäre, im Gegenteil. In Afrika passiert gerade ein riesige strukturelle Umwandlung. Städte, die vor wenigen Jahren 3.000 Bewohner hatten, haben jetzt 30.000 oder 300.000 - und die Bewohner sind oft immer noch zu 80 Prozent abhängig von Wildtierfleisch für ihren Proteinbedarf. Das ist nicht nachhaltig, die Wälder werden leer gejagt, und das fällt wieder zu Lasten der Ärmsten. Wir brauchen dringend alternative Eiweißquellen!
Andererseits gibt es einen Handel, den wir unterbinden sollten, wo die Tiere aus den Wäldern in die Mega-Städte verkauft werden, nach Kinshasa zum Beispiel. Das liegt oft nur daran, dass die Leute dort immer noch Wildtierfleisch bevorzugen, aber es ist keine Notwendigkeit mehr für sie.
Moderne Transportmöglichkeiten sind auch ein Problem: In Brazzaville (Hauptstadt des Kongo, Anm.) ist es vielleicht verständlich, dass die Leute Affenfleisch konsumieren. Das Problem ist aber, dass der Affe aus Brazzaville heute nur noch 15 Stunden von New York entfernt ist, oder zehn Stunden von Paris. Es ist eine Tatsache, dass tonnenweise afrikanisches Wildtierfleisch nach Europa geschafft wird, einfach, weil es hier die Nachfrage gibt.
Wo ist für Sie die Grenze zwischen notwendiger und gefährlicher Nutzung?
Für mich hört es sich in großen urbanen Zentren auf. Bei 30.000 Einwohnern ist es derzeit vielleicht noch notwendig, aber da setzten wir unser Hauptaugenmerk hin, um Alternativen anzubieten.
Alles, was rural ist, in Waldnähe, ist legitim, da müssen wir Hilfe bieten, wenn die Gefahr einer Ansteckung besteht: bessere Diagnose, gute lokale Gesundheitsnetze, Frühwarnsysteme.Teilweise funktioniert das auch schon sehr gut. Dank neuer Technologie können wir binnen 40 Minuten wissen, ob ein verendeter Affe an Milzbrand oder Ebola gestorben ist.Dann warnen wir die Menschen vor Ort.
Mitunter wird das Risiko halt von den Leuten wissentlich in Kauf gekommen, aus Not. Wir sind einmal benachrichtigt worden, dass ein toter Elefant gefunden wurde, und es bestand großer Verdacht auf Milzbrand. Unser Team war vor Ort und hat alle darauf hingewiesen, dass das gefährlich ist. Sechs Stunden später war das Tier trotzdem komplett zerlegt und das Fleisch gegessen.
Wobei das Essen der Tiere nicht das Problem sein sollte...
Richtig. Wenn das Fleisch einmal gekocht ist, kann virologisch nichts mehr passieren. Der Kontakt mit dem Kadaver ist das Problem, das Schlachten, und der enge Kontakt der Tiere untereinander. Wir haben das in einer Studie zu Coronaviren bei Bambus-Ratten sehr schön beobachten können: Wir haben sie im Feld, am Markt, und im Restaurant auf Coronaviren getestet, und man sieht wunderschön die Zunahme bei Positivität: 18 Prozent am Feld, 40 Prozent am Markt, und im Restaurant sind echon mehr als die Hälfte der Tiere mit den Viren infiziert - weil die Ratte immer wieder in Kontakt mit anderen Tieren kommt.
Sind Wildtiere auch in Europa oder den USA potentielle Virenschleudern?
Kaum. Bei Rothirschen und Rehen gibt es eine sehr gute Überwachung, sie werden in Österreich sehr genau tierärztlich kontrolliert bevor sie ins Restaurant kommen. Anderswo dürfen sie zwar selbst gejagt und gegessen, aber nicht gehandelt werden. In den USA etwa kommt Wildfleisch im Handel oder Restaurant eigentlich immer von einer Farm.
Welche Tiere sind denn besonders gefährlich?
Die große Risikogruppen sind Nagetiere und Fledermäuse in den Tropen. Die haben schlicht die größte Artenvielfalt. Es gibt allein 1400 verschiedene Fledermaus-Arten, und von den Nagetieren noch viel viel mehr. Und da, wo die Biodiversität generell höher ist, wo es die meisten Tierarten gibt, gibt es auch die größte Vielzahl von Viren.
Wir gehen davon aus, dass es bei Säugetieren und Vögeln 1,7 Millionen unentdeckte Viren gibt, von denen 700.000 potentiell gefährlich für den Menschen sein können. Das ist nur ein Modell, aber selbst wenn wir uns um eine Zehnerpotenz geirrt haben, ist es immer noch ein Problem. 70 Prozent davon haben ihr Reservoir in Wildtieren, der Rest in landwirtschaftlichen Nutztieren.
Wieso passiert dann nicht viel öfter was?
Zum Glück ist es nicht so einfach. Schon der erste direkte Kontakt, zum Beispiel mit Exkrementen, muss intensiv sein. Dann muss das Virus in eine menschliche Zelle rein, sich dort vermehren, und dann die Fähigkeit entwickeln, von Mensch zu Mensch zu springen - vor allem letzteres passiert sehr selten.
Bloße "Spillover", also ein Sprung vom Tier auf einen Menschen, passieren viel häufiger. Im Blut von Tierärzten wie mir kann man oft Kontakte mit unbekannten Erregern sehen, die aber nicht weitergegeben werden.
Haben indigene Völker, die immer schon in engem Kontakt mit Wildtieren waren, mehr Antikörper gegen Viren?
Wir wissen es nicht wirklich, aber das ist eines der großen Projekte für die kommenden Jahre: sich die Immunlandschaften anzuschauen in diesen Communities. Wir wissen zum Beispiel, dass 3,5 Prozent der Menschen in manchen ländlichen Gegenden in Südostasien besondere Antikörper gegen Coronaviren haben. Und wenn Sie und ich im Kongo jagen gehen und was schießen und verzehren, geht es uns nachher wahrscheinlich nicht gut, während die Einheimischen gut wegstecken.
Sie haben vorher von Eiweiß-Alternativen für das ländliche Afrika gesprochen - was könnte das sein?
Hühner. Es war lange nicht möglich in Subsahara-Afrika Hühner in kleinem Maßstab (Backyard Chicken) zu halten, wegen der Newcastle Disease. Das ist ein richtig übler Vogelvirus, der alles Geflügel tötet. In Europa sind alle Tiere dagegen geimpft, aber der Impfstoff war lange nicht thermostabil, und damit in Gegenden ohne funktionierende Kühlkette nicht verwendbar.
Jetzt gibt es seit ein paar Jahren endlich einen neuen, thermostabilen Impfstoff. Und an Hühner kann man einen ganzen Wirtschaftszweig drang hängen, Eier, Küken verkaufen, Legehennen, Fleischproduktion…
Jetzt haben wir gar nicht über Südamerika gesprochen. Warum hört man von dort virologisch eigentlich nichts? Tropen, Urwälder, enorme Biodiversität, viele Edges of Destruction, Wildtierkonsum - alles da eigentlich, oder?
Ja, alles da, und wir warnen immer wieder. Derzeit wenig in den Nachrichten, vermutlich hauptsächlich wegen der fehlenden Finanzierung für Projekte dort. Wir hoffen sehr, dass da Bewegung reinkommt. Mehr Überwachung und Kontrolle in der Gegend würde wirklich Sinn machen.
Chris Walzer ist Director of Health der Wildlife Conservation Society (wcs.org) in New York. Die Gesellschaft überwacht in über 60 Ländern die Gesundheit von Wildtieren und Menschen, und ist unter anderem eine der führenden Institutionen zur Bekämpfung von illegalem Wildtierhandel. Daneben ist er Professor an der Veterinärmedizinischen Universität Wien.