Röstaromen, Balsamico und ein zensuriertes Kochbuch
Die interessantesten Krautfleckerl-Kommentare
Krautfleckerl gehen Menschen offenbar zu Herzen, die Geschichte hat im Standard 576 Kommentare (16.1., 22:38). Hier jene, die ich persönlich am interessantesten fand, plus Antworten auf ein paar Fragen.
Rösten vs. Dünsten
Die häufigste Kritik an, oder freundlicher gesagt, Ergänzung zu Heinrich S. und meinen Krautfleckerl-Versuchen betraf die Zubereitung des Krauts - und zwar die Frage Dünsten vs. Anbraten. Die Anregung kam mehrmals. Boris Gröhndal etwa schreibt:
Interessant, dass ihr das Kraut selbst gar nicht karamellisieren lasst, das mache ich nämlich immer, und so empfiehlt es ja auch Maier-Bruck, wobei er es zugleich offen zu lassen scheint: „Zugedeckt, aber unter wiederholtem Umrühren leicht bräunlich rösten bzw. weich dünsten.“ Ich finde, dass fast jede Kohlsorte fast immer durch bräunen gewinnt, so auch hier. Ich würde nach der Zugabe des Kohls die Temperatur hochdrehen (nicht vorher um die Zwiebeln nicht zu verbrennen) und keine Flüssigkeit zugeben.
Ich finde im Allgemeinen auch, dass Kohl- und Krautgemüse von Röstaromen bis kurz vorm Anbrennen profitieren, ich bin mir aber nicht sicher, ob ich sie in meinen Krautfleckerl haben will. Verlockender finde ich Pietro Cavallos Vorschlag:
Bei der Zubereitung des Krautes gibt es einen Riesenspielraum. Statt 20 Minuten dünsten, kann man das Kraut auch langsam rösten. Dann steht man mindestens eine Stunde am Herd und blickt dann nur noch auf ein kleines Batzl Kraut, das vom ganzen Krautkopf übrig geblieben ist. Wahrscheinlich der Grund warum es bei der Tante Jolesch immer zu wenig war...
Das Rezept ist dann auch näher dran an jenem, dass der Nino Weiss in seiner schönen Krautfleckerl-Geschichte beschreibt. Wir haben das nicht gemacht, schlicht, weil unser Kraut schon nach etwa 20 Minuten im Topf so geschmeckt hat, wie wir uns das erhofft und erwartet haben. Ich finde die Idee, es einmal mit deutlich längerer Garzeit zu probieren, aber sehr verlockend.
Standarduserseit2009 hat einen der beliebtesten Kommentare hinterlassen und mich damit überrascht:
Also das Wichtigste fehlt.
Wie beim Gulasch sind die Krautfleckerl aufgewärmt am besten. Frisch sind sie bei mir nur gegen den Hunger. Aufgewärmt am Abend oder nächsten Tag zum Genuss!!!
Aufwärmen habe ich zugegeben noch nie probiert und es ist mir bisher nicht in den Sinn gekommen. Ich bin noch einmal zugegeben bei aufgewärmter Pasta skeptisch. Aber wie schon bei den Palatschinken gilt auch bei den Krautfleckerl: weitere Versuche sind nötig!
Würzvorschläge und -fragen
Lang war auch die Liste an Gewürzen, die von USern vorgeschlagen wurden. Piment, Kreuzkümmel, Zimt, Vanille und Muskatnuss werden mehrmals empfohlen (wenn auch nicht alle zusammen) zum Ablöschen bzw. würzen wurden Sojasauce, Balsamicoessig, Hesperidenessig, Pernod und Asti (!) genannt. Mein persönlicher Favorit kam von USer lalalaohoohohoho:
Ich würde mich selbst als Krautfleckerl-Süchtigen beschreiben und mache sie realtiv häufig Zuhause. Mein Geheimtipp ist ein guter Schuss Schlagobers zum Schluss, das macht sie richtig schön cremig und rundet das Gesamte so richtig ab.
Meine Empfehlung für Lavendelblüten hat für Verwirrung und die Frage gesorgt, was mit einer Lavendelblüte gemeint ist. Das war nicht optimal formuliert, es ging nicht um eine einzelne winzige Blüte, sondern um eine Dolde. Generell ist bei Lavendel aber weniger oft mehr, die Blüten schmecken sehr intensiv.
Wie jüdisch sind Krautfleckerl?
Offenbar so sehr, dass sie in der Rudolf Rösch Ausgabe von “So kocht man in Wien” hinaus gestrichen wurden. Das Buch ist großteils ein Plagiat des gleichnamigen, aber älteren Kochbuchs der jüdischen Autorin Alice Urbach und erschien 1939, nachdem die Rechte an Urbachs Buch arisiert wurden. Ich habe den Verdacht geäußert, dass Krautfleckerl als jüdisches Essen galten und deswegen hinaus redigiert wurden, konnte das aber aus Mangel an Original nicht belegen. Gleich mehrere LeserInnen waren so nett, mir Fotos aus dem Urbach-Buch zu schicken, in dem tatsächlich ein Krautfleckerlrezept steht. Hier eines der Bilder davon:
Die Pasta, die aus dem Osten kam
Ich habe außerdem spekuliert, dass Krautfleckerl ursprünglich aus dem Osten stammen, und mit Einwanderern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Wien gekommen sind. User NikoHorn hat sich auf Quellenforschung begeben und hat die ältestem ihm bekannten Krautfleckerlrezepte gepostet. Das passt sehr gut zu meiner Theorie:
J.M. Hauer: Kleines Pesther Kochbuch, Pesth 1841, S. 85
Julie Löv: Die Israelitische Köchin, Preßburg 1842, S. 100
Johanna Grobschmid: Die bürgerliche Küche, Pesth 1844, S. 144f.
Ein Krautfleckerlrezept gibt's auch im Werk mit dem originellen Titel "Die Zukunftsküche. Letzter Rettungsanker zur Verhütung völliger Entartung der Menschheit", J.+M. Schmall, Wien 1900.
Und, was die Herkunft betrifft, ist die Bezeichnung des Rezepts als "Kraut-Haluszka (-Fleckerl)" noch 1926 im Elisabeth-Blatt (März-Heft, S. 48) interessant.
Louise Seleskowitz' "Wiener Kochbuch" mit Krautfleckerlnrezept erschien 1880.
User Ach, ach war außerdem so nett, einen Link zum Pester Kochbuch zu posten.
Diverses
terrassistin lässt mir eine Ehre zuteil werden, die mir nicht gebührt:
Ich liebe Herrn Müllers klare Diagramme. War schon beim Palatschinkenteig fasziniert. Muss aber gestehen, dass ich Rebellin bin.... Mache Krautfleckerl auch aus Rotkraut. Und manchmal mit Speck.
Die Diagramme sind alle das Werk vom Heinrich S., der sich mit sowas viel besser auskennt als ich.
Und weil Krautfleckerl Kindheitserinnerungsessen sind, hier noch eine ziemlich gut klingende Oma-Geschichte von User MoPert:
Meine Oma kochte Krautfleckerl, die Fleckerl am Vortag zubereitet und ueber Nacht angetrocknet, dann hat sie stundenlang Kraut geschnitten und Zwiebel und in einer riesigen Rein eine Stunde geröstet, aber der Clou war, dass vor dem Servieren noch kleingeschnittene, geröstete Grammeln untergehoben wurden, die ganze Familie konnte sich stundenlang nicht vom Sofa rühren, dann gab's als Heilmittel Omas Nusslikoer. Auf jeden Fall war die damalige Kochzeit 7 Stunden in zwei Tagen.