Endlich ins Gras beißen
Frischer Bambus ist bei uns eine rare Delikatesse - dabei gedeiht er im Südburgenland prächtig.
Der Spargel ist nicht der einzige köstliche Trieb, den der Frühling zu bieten hat. In Ostasien ist schon vor ein paar Wochen die Frühjahrsbambus-Zeit angebrochen: die jungen Sproßen des Riesengrases werden gestochen, wenn sie gerade einmal ein wenig aus der Erde heraus schauen (und manchmal schon davor) - und werden mindestens so sehnsüchtig erwartet wie bei uns die ersten weißen Stangen.

Frischer Bambus hat mit der Dosenware wenig zu tun. Er hat einen aufregenden, einzigartig knackig-knusprigen Biss, und schmeckt ein wenig nach jungem, frischen Mais, nach Kokosnuss,, Spargel und der Kraft des erwachenden Frühlings. Außerdem sieht er spektakulär gut aus: einmal geschält, wird aus dem unscheinbaren Sproß ein wachsig-elfenbeinartig glänzender Trieb, der je nach Sorte weiß, satt gelb oder fast neongrün leuchtet, und die Wabenstruktur in seinem Inneren ist ähnlich hypnotisierend schön wie Kutteln.
Bambus ist das größte Mitglied der Familie der Gräser und äußerst vielseitig. Über 100 essbare Sorten soll es geben, und jede Esskultur bevorzugt eine andere. In Japan sind angeblich besonders die dicken, kurzen Triebe beliebt, in China werden oft die großen geschätzt, mit kräftigem Geschmack und sattgelber Farbe (und einer ordentlichen Portion Gerbstoff), und in Taiwan sind vor allem schlanke, dünne, außen grüne Triebe gefragt, die mild und erfrischend schmecken.
Wie auch der Spargel ist Bambus möglichst frisch am besten: Bambus-Connaisseure kommen direkt in die Haine und kochen die Sproßen gleich vor Ort, wenn sie gerade erst gestochen wurden.
Bisher war frischer Bambus bei uns eine äußerst rare Delikatesse. Motivierte Asialäden in Wien importieren gelegentlich frischen Winterbambus aus China, aber der ist erstens nicht mehr ganz so frisch, wenn er hier ankommt, und wird zweitens eingeflogen - sein Preis ähnelt daher dem der Flugmangos. Unter 15 Euro für etwas Bambus für zwei läuft nicht viel.

Heuer hat sich das nun geändert. Diese Woche (und hoffentlich auch noch kommende, die Saison ist sehr kurz) hat die Bioschanze in Wien ganz frischen Bambus aus dem Südburgenland im Programm -und zwar gleich mehrere verschiedene Sorten. Wer es gern derb und intensiv hat, nimmt die dicken, haarigen chinesischen Riesensproßen, Freunde der leisen Töne greifen zu den schlanken zartvioletten Taiwanern.
Angebaut bzw. geerntet wird er von Chi Kang Kranich, einer gebürtigen Taiwanerin, die seit vielen Jahren in Österreich lebt, und ihrem Mann Fred - teilweise in ihren eigenen Hainen, die sie vor einigen Jahren gepflanzt haben, teilweise bei ihren Nachbarn, die schon länger Bambus pflanzen (ein Hain braucht gut zehn, gern auch 20 Jahre, um erwachsen zu werden).
“Frischer Bambus ist mehr als nur Essen”, hat Chi Kang mir erzählt. “Es ist sentimentales Soul Food, es steht für Kindheit, seine eigenen Wurzeln, und den Geschmack der Heimat.”
Weil meine Erfahrung mit frischem Bambus begrenzt ist, und ich endlich einmal einen Profi bei dieser Arbeit sehen wollte, habe ich sie gefragt, ob wir nicht gemeinsam einen Bambusabend machen können. Zu meiner großen Freude hat sie ja gesagt.
Wir haben an dem Abend drei verschiedene Sorten verkostet, und alle waren anders. Einer hat roh deutlich nach weißen Maulbeeren (!) geduftet, ein anderer mehr nach grünem Apfel, einer war intensiv maisig im Geschmack, ein anderer eher süß und spargelig. Der größte Unterschied war bei der Frische zu bemerken. Wir haben einen Bambus, der gleich nach der Ernte verkocht wurde, gegen einen verkostet, der bereits zwei Tage geerntet war und dann erst gegart wurde. Der Unterschied war erstaunlich und auch für Laien sofort zu bemerken: nicht, dass der drei Tage alte schlecht war- aber der frisch verkochte war deutlich intensiver und walnussiger im Geschmack, mit besserem, kräftigeren Biss.
Am besten verkochen Sie ihre Sproßen daher gleich, wenn Sie mit ihrem Einkauf nach Hause kommen - essen können Sie ihn dann auch in aller Ruhe später. Chi Kang kocht ihren gleich nach der Ernte und vakumiert ihn dann. So wird’s gemacht.
Frischer Bambus, leicht gemacht
Zuallererst müssen Sie Ihren Bambus aber einmal entblättern. Am leichtesten geht das, indem Sie erst das unterste, harte Segment abschneiden, dann den Rest längs halbieren und nun die äußeren, rauen Blätter eines nach dem anderen abschälen, bis nur der weiß-gelb-grüne, wachsig glänzende Kern übrig bleibt. Wie viel genau Sie wegschälen, bleibt ihnen überassen - wie bei der Artischocke (oder auch beim Spargel-Abschnitt) ist es am besten, die richtige Menge zu erfühlen.
Nun den Bambus in einen Topf mit kochendem Salzwasser packen und etwa 20 Minuten köcheln lassen, bis er sich etwas gummig weich anfühlt. Das ist auch deshalb wichtig, weil er roh Blausäure enthält (ähnlich wie etwa Marillenkerne), die durch die Hitze unschädlich gemacht wird. Wenn sich beim Kochen Schaum auf dem Wasser bildet oder am Topfrand absetzt, ist das nur ein gutes Zeichen, dass die Bitterstoffe austreten, meint Chi Kang. Abgießen und sofort kalt abschrecken. Das soll dafür sorgen, dass er später knackig bleibt. Nun längs in mundgerechte Stücke schneiden.
Das war’s. Ihr Bambus ist bereit, genoßen zu werden. Sie können ihn entweder gleich so knabbern, mit etwas Sojasauce als Dip, oder in einer Vielzahl von Gerichten verwenden. Sehr klassisch ist er als knackig-erfrischende Zugabe zu rot geschmortem Schweinebauch, als Bereicherung für Reis, als prächtige (Nudel)Suppeneinlage, oder einfach so, kurz als Stir Fry gebraten (ich gebe in dem Fall gern noch Shrimps dazu).
Das Steirereck, das Chi Kang und Fred auch mit Bambus belieferen, serviert ihn gern zum Maibock und füllt die Kammern dann mit verschiedenfarbigen Saucen. Lukas Mraz, der ebenfalls welchen kriegt, füllt ihn mit Messermuscheln und gart ihn in einer Messermuschelconsommé.

Ich finde, generell stehen ihm Meeresfrüchte, Krustentiere und Kokosnuss sehr gut, außerdem verträgt er eine ordentliche Portion Sojasauce. Damit ist natürlich noch lange nicht Schluß. Bambus-Tomatensalat mit Koriander? Bambus-Shrimp-Risotto? Bambus mit Hollandaise? Warum nicht! Ihrer Phantasie sind aber kaum Grenzen gesetzt. Experimentieren Sie und lassen Sie mich wissen, wie es gelaufen ist.
Bambus Blätter könnte man jetzt brauchen um Zongzi zu machen. Aber da nicht Chines_innen kaum das Drachenboot Fest feiert werden ist eigentlich egal wann man in Wien frische Bambus Blätter bekommt, nur dass ab und an wäre schön.
Endlich Bambus in Wien! Danke an alle Beteiligten.