Das Internet sagt mir, das heute der Tag des Apfels ist. Hier daher eine große Apfelgeschichte mit Apfelsmalltalkwissen, die ich fürs aktuelle Schmeck’s Magazin von Gurkerl geschrieben habe. Der fade Anfang und das plötzliche Ende liegt schlicht daran, dass ich Gurkerl-spezifische Textteile gestrichen habe.
Der Apfel stammt ursprünglich aus den Wäldern des Tian Shan Gebirges zwischen Kasachstan und China, wo er bis heute wild vorkommt. Seine ersten Veredler waren die Bären der Gegend, die lieber die süßen als sie sauer-herben Äpfel fraßen und deren Kerne daher weiter verbreiteten - praktisch in Dünger als Starthilfe gehüllt. Mit den Jahrtausenden wanderte der Apfel dann entlang der Seidenstraße bis nach Europa und um die Welt.
Schon die Römer kultivierten ihn im heutigen Deutschland und Österreich, noch vor 100 Jahren waren über 3000 Apfelsorten hier verbreitet. Fast jede Streuobstwiese hatte ihre eigene Varianten. Heute werden nur noch rund 25 gewerbsmäßig angebaut. Die einstige Vielfalt lag schlicht an der Art, wie der Apfel sich natürlich vermehrt: wie beim Menschen ist jeder Baum, der aus einem Apfelsamen wächst, anders als seine Eltern - und wird daher auch andere Äpfel produzieren.
Lange waren gute Apfelsorten, auch berühmte, Zufallsfunde: Der Golden Delicious etwa wurde in den 1860er Jahren auf einer Wiese in Virginia entdeckt, der Granny Smith auf dem Misthaufen der Maria Ann “Granny” Smith in New South Wales, Australien, in den 1890ern. Jeder Apfel dieser Sorten stammt bis heute genetisch von einem einzigen Baum.
Damit wir uns nämlich trotzdem darauf verlassen können, dass ein Granny Smith immer wie ein Granny Smith schmeckt und Gala Äpfel nicht nur von einem, sondern vielen Millionen Bäumen geerntet werden, werden Äpfel meistens nicht per Samen vermehrt. Stattdessen schneiden Züchter Äste von dem zu vermehrenden Baum und setzen sie auf einen anderen auf. Veredeln, sagt der Fachmann dazu. Auf dem Ast werden dann unabhängig vom Stamm die gleichen Früchte wachsen wie auf dem Mutterbaum.
Erst relativ spät, ab dem späten 19., frühen 20. Jahrhundert, begannen Apfelbauer und Züchter damit, gezielt neue Sorten zu züchten - vor allem, um so die damals boomende Nachfrage nach frischem Snack-Obst zu befriedigen. Bis dahin waren Äpfel vor allem für Most und Cider verwendet worden - Wir verdanken den modernen Speiseapfel zu einem Gutteil der amerikanischen Prohibition. Mittlerweile arbeiten Züchter rund um die Welt kontinuierlich an neuen Sorten - aktuell sind etwa rotfleischige Sorten ein großes Thema.
Bis eine neue auf den Markt kommt, dauert es viele Jahre: die Züchter müssen nicht nur einen guten Apfel finden, sondern auch testen, ob er über viele Ernten konstant so schmeckt, lagerfähig ist und sich unter unterschiedlichen Bedingungen anbauen lässt. Erst dann wird die Sorte verkauft - oder zumindest versucht sie zu verkaufen, die meisten Konsumenten bleiben nämlich lieber bei dem, was sie kennen. Das Apfelgeschäft ist daher ein wenig wie das Musikbusiness oder die Filmindustrie: zahlreiche Flops werden von ein paar Megahits wie Fuji oder Pink Lady finanziert.
Moderne Äpfel unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von alten Sorten: Sie sind oft größer, ihre Schale ist oft röter (Menschen bevorzugen rote Äpfel, weswegen etwa 65 Prozent der angebauten Sorten rot sind); sie sind weniger anfällig für bestimmte Erkrankungen oder unschöne Verformungen auf der Schale; Sie werden oft so gezüchtet, dass sie besser lagerfähig sind, weswegen wir mittlerweile manche Sorten zwölf Monate im Jahr genießen können; und die Ernte in modernen Apfelplantagen ist viel einfacher und ergiebiger als auf den alten Streuobstwiesen, weswegen moderne Äpfel deutlich günstiger geworden sind.
Das klingt alles gut, hat jedoch auch einige Nachteile. Bei neuen Züchtungen ging es lange kaum um den Geschmack, sondern eher um Ertrag, Aussehen und Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge und Krankheiten. Alte Sorten haben unterschiedliche Farben, Formen und Aromen, manche sind astringent wie Rotwein, andere erfrischend säuerlich, und alle schmecken ein wenig anders. Moderne Sorten hingegen sind meist hübsch rot und rund, sehr süß und knackig. Das ist an sich nicht schlecht, aber halt nur ein kleiner Teil der Apfel-Möglichkeiten.
Gerade weil alte Apfelsorten oft vielseitig, komplex und etwas herb schmecken, könnten sie besonders gut für uns sein: “Alte Sorten enthalten oft mehr gesundheitsfördernde Polyphenole” sagt, etwa Andreas Spornberger, vom Institut für Wein- und Obstbau an der Wiener Universität für Bodenkultur in Wien. “Generell gilt: je herber ein Apfel, desto gesünder ist er. Einige Zivilisationskrankheiten könnten daher rühren, dass wir heute zu wenige Bitterstoffe bekommen, die wichtig sind für unsere Verdauung.”
In den vergangenen Jahren mehren sich auch die Hinweise, dass alte Apfelsorten verträglicher sind als moderne: sie können oft von Leuten mit Apfel-Allergien gegessen werden, ohne allergische Reaktionen hervorzurufen. Forscher vermuten, dass das an ihrem höheren Gehalt an Polyphenolen liegt. Das sind jene Stoffe, die auch dafür sorgen, dass manche Apfelsorten sich braun verfärben, wenn man sie anschneidet, sie wurden daher oft weggezüchtet. Sie helfen, scheint es, allerdings auch, allergene Inhaltsstoffe zu binden und könnten generell gesundheitsfördernd sein.
Und noch ein anderer, sehr aktueller Grund spricht dafür, eine große Apfelvielfalt zu erhalten: Der Klimawandel macht seit einigen Jahren wichtigen Sorten wie Elstar, Gala und Golden Delicious immer schwerer zu schaffen. Sie brauchen kühle Nächte, um ihre Farbe, Säure und Aroma zu entwickeln, und viel Wasser, um groß und saftig zu werden. Und sie werden immer öfter von Spätfrösten erwischt, weil sie wegen der milden Winter immer früher blühen. In den wichtigen Apfelanbauregionen wie Südtirol, aber auch Teilen der Steiermark, ist das bereits ein großes Problem.
Alte Apfelsorten sind zwar ebenfalls vom Klimawandel betroffen. Sie bilden aber erstens meist nicht so große Früchte - weniger Regen ist für sie weniger schlimm. Und zweitens bieten sie ein riesiges Genreservoir für künftige Züchtungen, die besser an veränderte Bedingungen angepasst sind.
Aktuell versuchen Züchter zum Beispiel vermehrt, alte, spätblühende Sorten wie den Spätblühenden Taffetapfel mit modernen Varianten zu kreuzen, um sie so besser vor Frostschäden zu schützen. Andere Forscher arbeiten daran, einen Apfel zu entwickeln, der bei fünf Grad gut lagerfähig ist, statt den zwei Grad, die aktuell in der Lagerung üblich sind. Das würde sehr viel Energie sparen und wäre damit nicht nur günstiger, sondern auch ein wichtiger Beitrag zum Umweltschutz.