Cremige Beinschinkenfleckerln, eventuell mit Spargel
und gebackene-Schinkenfleckerl-Beschimpfung
Ich bin überzeugt, dass fast jedes Essen gut sein kann, wenn man es mit Liebe und Aufmerksamkeit macht - es gibt keine schlechten Speisen, nur schlechte Zubereitung. Gebackene Schinkenfleckerln sind eine der wenigen Ausnahmen von dieser Regel.
So sehr man sich auch bemüht, das Gericht ist nicht gut zu bekommen - hier scheitert es tatsächlich an der Theorie, nicht an der Praxis. Sie sind essbare Ödnis, löffelbare Langeweile, geschmackloses, völlig unterwürztes Kleinkinderessen par excellence.
Das Backen der Schinkenfleckerln holt aus allen Zutaten das Schlimmste heraus: die Fleckerl werden gummig, der Schinken trocken. All die guten Säfte scheinen nicht von der Pasta aufgesaugt zu werden, sondern einfach zu verschwinden, und statt sich dank Ei und Obers zu einem Ganzen zu fügen, fällt das Gericht am Teller meist geschmacklich wie wortwörtlich einfach auseinander. Dass gebackene Schinkenfleckerln so gut wie immer aus billigsten Zutaten gemacht werden, gibt ihnen endgültig den Rest.1

Schinkenfleckerln in Oberssauce hingegen sind der Beweis, das Fortschritt möglich ist. Obwohl sie aus fast den gleichen Zutaten gemacht werden und fast gleich heißen2, sind sie ein anderes Gericht. Sie sind cremig statt trocken, was ihren Wohlfühlfaktor unglaublich hebt, und auch ihr Geschmack ändert sich: sie schmecken plötzlich nach süßem Obers und saftigem Schinken, statt nach trockener Pasta und eingesalzenem Fleisch.
Sie sind vielleicht immer noch keine große Küche, aber machen durchaus Spaß, vor allem, wenn man vor hat, viel Bier zu trinken. Selbst die billigen Gasthaus-Versionen mit Industriekäse und Pressschinken sind vielleicht objektiv grauslich, aber mit reichlich Schnittlauch bestreut trotzdem irgendwie geil. Mitunter können sie sogar ziemlich gut sein: im Grünen Baum in Sommerein durfte ich einmal frische, fast handflächengroße Fleckerln genießen, die in einer eleganten Oberssauce gebadet wurden.
Als der Heinrich S. und ich diskutiert haben, ob wir uns auf die Suche nach den perfekten Schinkenfleckerln begeben wollen, habe ich noch einen letzten Anlauf genommen, auch gebackene Schinkenfleckerln zu mögen. Ich habe ihn gebeten, mir seine Schinkenfleckerln zu machen, von denen er behauptet, sie gern zu essen. Er ist ein wirklich guter Koch und Mensch mit Geschmack, aber auch seine Version ist trotz elaborierten Rezepts unerfreulich3.
Es gibt daher diesmal keine Experimente, sondern nur historische Recherche und am Ende ein cremiges Schinkenfleckerlnrezept.
Eine kurze Geschichte der Schinkenfleckerln
Ich weiß nicht, wie sie passiert sind, überbackene Schinkenfleckerln tauchen jedenfalls zuerst und schon relativ früh in österreichischen Kochbüchern auf. Ab dem späten 18. Jahrhundert sind sie schriftlich belegt und der modernen Form schon damals sehr ähnlich. Frische Fleckerln (getrocknete Pasta dürfte es erst relativ spät nach Österreich geschafft haben) werden mit Schinken, Eiern und Rahm gemischt und dann einer Form im Ofen getrocknet. Im 18. und 19. Jahrhundert werden sie außerdem noch regelmäßig als Pastete interpretiert und im Teig gebacken. Ich habe das nicht probiert, glaube aber kaum, dass es sie besser macht.
Sie waren immerhin beliebt genug, dass auch Fastenzeit-Versionen kursierten (etwa mit Räucherfisch oder gar mit Huchen statt Schinken). Auch der jüdische Teil der Bevölkerung, der eigentlich vor ihnen sicher gewesen wäre, aß sie: Im “vollständigen israelitischen Kochbuch” von 1903 steht ein Rezept mit “Rauchfleisch”, das wohl vom Rind gewesen sein muss, und Mandelmilch statt Obers, um die verbotene Mischung aus Milchprodukt und Fleisch zu vermeiden.
Der Popularität zum Trotz war auch frühen Kochbuchautoren wohl schon klar, dass sie hier Schund überlieferten: “In der vornehmen Küche ist es zwar ohne allen Kredit und Rahmen, welches aber nicht sagen will, dass es ohne jeden Werth sei”, schrieb F.G. Zenker, Koch des Fürsten Schwarzenberg, 1843 mit schlechtem Gewissen als Vorbemerkung zu seinem Rezept.

Auch Auguste Weiß war sich in ihrem “Praktischen Kochbuch für alle Stände” 1854 des Problems der Schinkenfleckerl bewusst. Sie versucht daher eine zarte Uminterpretation zu “Poupeton4 von Schinken, Nudeln und Parmesankäse” und merkt an: “hierbei darf die Butter nicht gespart werden, auch muss man hinlänglich Sahne darauf füllen, indem es sonst zu trocken wird.”
Der Ansatz war richtig, allein, die größte Menge Obers hilft nichts, wenn die Fleckerln gebacken werden. Sobald sie eine halbe Stunde im Rohr stehen, saugen die Nudeln alles auf und statt cremiger Sauce bleibt nur mehr eine fett-trockene Pampe zurück.
Fortschritt ist möglich
Die rettende Idee - sie nämlich einfach nicht zu backen - ist offenbar jahrhundertelang niemandem gekommen. Ich weiß nicht, woran es liegt - vielleicht waren cremige Pastagerichte noch auf Italien beschränkt - die historischen Kochbücher kennen jedenfalls bis ins frühe 20. Jahrhundert ausschließlich gebackenen Schinkenfleckerln5.
Die nicht gebackenen Schinkenfleckerln dürften eine Erfindung zumindest des mittleren, vielleicht auch erst des späten 20. Jahrhunderts sein, eventuell als Reaktion auf frühe cisalpine Carbonara-Varianten.
Weil wir von der Schinkenverkostung doch einiges an Schinkenresten hatten und die Zeit kommt, in der es wohl vielen Menschen so geht, haben der Heinrich S. und ich uns an nachösterliche cremige Beinschinkenfleckerln gemacht. Wir haben Eiernudeln und handgeschnittenen Thum-Beinschinken in Obers gebadet und mit frischem Kerbel bestreut. Das Ergebnis war ziemlich gut.
Das nächste Mal täte ich noch gebratene Spargelspitzen dazu mischen, dann wird langsam ein richtiges Frühlingsessen draus.
Cremige Beinschinkenfleckerln, im Frühling gern mit gebratenen Spargelspitzen und wildem Kerbel
Zunächst wollte ich frische Pasta für die Creme-Schinkenfleckerln machen, historisch korrekt und ganz wie in der Version in Sommerein. Dann war ich aber faul und habe beschlossen, Eier-Lasagneblätter im “Maltagliati-Style” zu zerbrechen. Das hat tadellos funktioniert: die unterschiedlichen Formen sorgen für Abwechslung im Mundgefühl, die getrocknete Pasta behält eine gewissen Biss, den frische so nie haben wird. Ich glaube aber, beide Varianten funktionieren gut.
Eine Handvoll weißer Spargelspitzen, je nach Dicke ganz oder halbiert
Nicht zu knapp Butter
Salz und Pfeffer
250 ml Obers
200 g richtig guter Beinschinken, handgeschnitten
Muskatnuss gerieben
250 g getrocknete Eierlasagneblätter
Geriebener Parmesan nach Geschmack
Wilder Kerbel zum Garnieren
Die Spargelspitzen - falls verwendet - in einer Pfanne in Butter gut braten, bis sie auf allen Seiten braun und bissfest gegart sind. Salzen, pfeffern, herausheben und für später zur Seite stellen.
In die gleiche Pfanne das Obers geben und den Schinken darin warm, aber nicht heiß werden lassen, nicht über 60 Grad - der Schinken soll saftig bleiben und nicht übergaren. Bei geschlossenem Deckel ziehen lassen, sodass das Obers den Schinkengeschmack gut annimmt, etwa zehn Minuten.
Den Schinken herausheben, in mundgerechte Stücke schneiden (nicht zu klein!) und für später zur Seite stellen. Das Obers mit ordentlich geriebener Mustkatnuss würzen und zum Kochen bringen.
Inzwischen die Lasagneblätter in mundgerechte Stücke brechen (nicht zu klein!) und in Salzwasser garen, bis sie noch etwas zu bissfest sind, etwa sechs Minuten. Abseihen (dabei etwas von dem Kochwasser auffangen) und sofort in die Obersmischung kippen. Köcheln, bis sie gar sind.
Den geriebenen Käse zugeben und mit dem Pastakochwasser auf die gewünschte Konsistenz bringen. Zuletzt den geschnittenen Schinken und die Spargelspitzen unterheben. Auf Teller verteilen, mit reichlich frisch gemahlenem schwarzen Pfeffer würzen, mit Kerbel bestreuen und servieren.
Das soll keinesfalls als Angriff auf Gerichte aus günstigen Zutaten verstanden werden. Es gibt großartige Speisen aus fast nichts: Krautfleckerln etwa, den Schinkenfleckerln in der Idee eng verwandt, sind ein Paradebeispiel dafür, wie man aus wenig (und viel günstigeren Zutaten!) sehr viel machen kann. Mir geht es eher um schlechte Teigwaren, und billigen Industrieschinken und -käse.
In Wirtshäusern stehen sie oft als “überbackene Schinkenfleckerln” in der Karte, aber der Unterschied zwischen “ge” und “über” ist enorm. Das “über” bedeutet nur, dass die Obers-Schinkenfleckerln nach dem Anrichten noch einmal eine ordentliche Schicht Käse abbekommen, kurz unter den Salamander wandern und dann braun blubbernd zu Tisch gebracht werden. Achtung, Teller heiß!
Sie entsprechen im Wesentlichen der Rokitansky, bloß mit doppelt so viel Sauerrahm:
800 g Schinken in Würferln mit ca. 5 mm Kantenlänge
500 g Eierteigfleckerln
80 g Butter
4 Eier, getrennt
Salz, Pfeffer, Muskatnuss
¼ l Sauerrahm
1 kleiner Bund Petersilie
Butter und Semmelbrösel zum Backen
Sauerrahm gut abtropfen lassen. Molke aufheben. Fleckerln sehr bissfest kochen. Mit lauwarmem (!) Wasser abschrecken und gut abtropfen lassen. Mit Schinken und Sauerrahmlake vermengen. Butter flaumig rühren, zunächst Eidotter (einzeln) einrühren, dann den abgetropften Sauerrahm Löffel für Löffel. Die Mischung darf nicht gerinnen. Mit den Gewürzen vermengen und unter die Fleckerln-Schinken-Mischung heben. Eine passende Form ausbuttern und bröseln. Eiklar mit Salz zu einem sehr festen Schnee schlagen, Petersilie dazugeben. Sehr vorsichtig unter die Fleckerln-Schinken-Butter-Eidotter-Sauerrahm-Mischung heben. In die Form einfüllen, mit Semmelbrösel bestreuen und Butterflocken belegen. Im Rohr bei 175 Grad bis zu einer Kerntemperatur von 80 Grad backen.
Eine wohl zurecht vergessene Unterart der Pastete
Heinrich S. weist darauf hin, dass die Schinkenfleckerln damit das einzige (?) Rezept der Wiener Küche sind, bei dem “gebacken” nicht ausgebacken, also “paniert und frittiert”, bedeutet.
Ich gebe zu, der Artikel war äußerst unterhaltsam und von der Bewertung her bin ich mit sehr vielem einverstanden, glaube aber doch, dass Schinkenfleckerl ein einfaches, aber gutes Essen sein können. Persönlich sind mir zwar selbstgemachte Spätzle mit einer Mischung aus Beinschinken, Zwiebel, Sauerrahm und Kerbel lieber, aber wenn selbst Thomas Dorfer hier https://extra.orf.at/rezepte/silvia-kocht/Ueberbackene-Schinkenfleckerl-Thomas-Dorfer102.html seine Schinkenfleckerl präsentiert, geht da schon was. Habe die Version übrigens einmal ausprobiert und ich fand sie, mit etwas Grünzeug, schon köstlich. Nach dem Lesen dieses Textes bin ich mir da aber nicht mehr so sicher - muss wohl getestet werden.
haha, sehr lustig, ich mag nicht gebackene „cremige“ schinkenfleckerl überhaupt nicht (schinken-obers-saucen gehen bei mir wenn unbedingt nötig, dann nur mit erbsen und/oder lauch und zitronenabrieb; rant drüber könnte ich jederzeit liefern) und hab länger herumgetüftelt, um eine flotte version der bochanen für „österreich express“ zu entwickeln. das ergebnis lieb ich sehr, reich an interessanten konsistenzen, oben knusprig und bissl angedürrt, drunter saftig, und natürlich - so oder auch eure „gatschige“ version, chacun à son goût, - sind sie das ideale post-oster-restlverwertungsessen.